Was ist der Gegenbegriff zu Altruismus?

Egozentrik steht in wesentlich schrofferem Gegensatz zum Altruismus als Egoismus. Denn um egoistisch handeln zu können, benötige ich eine Vorstellung davon, was meine Interessen in einer sozialen Situation sind, und dazu brauche ich auch ein Konzept davon, was die anderen wollen und wie sie daraus folgend zu meinen Interessen stehen. Egoisten haben also notwendigerweise eine Vorstellung von Interessenkonstellationen und sowohl ihrer Position darin, als auch der Position der anderen.

Egozentrik heißt demgegenüber, gar kein Bewusstsein davon zu haben, dass andere überhaupt Interessen und Wünsche haben, und kein Konzept davon, wie sie zu meinen Interessen stehen. Dem Egozentriker fehlt also schon die Reflexivität, die er braucht, um auf die Interessen anderer Rücksicht nehmen zu können. Der Egoist hat diese Reflexivität, er entscheidet sich nur dazu, seine Interessen an erste Stelle zu setzen. Das heißt aber nicht, dass er in einem Lernprozess im Verlaufe der Aushandlungsprozesse, die er zwecks Verwirklichung der eigenen Interessen anstrengt, nicht zu einer Form von Altruismus kommen kann. Die moralische Verdammung egoistischer Handlungsweisen folgt allein aus der Empörung über die bewusste Wahl, die der Priorisierung meiner eigenen Interessen zugrunde liegt. Aber diese bewusste Wahl ist ein notwendiger Zwischenschritt zu einem reflektierten Altruismus. Aus der Egozentrik aber führt keine ihr inhärente innere Logik zu einem solchen reflektierten Altruismus.

Du, ich und unser Leben jenseits des Tauschprinzips

Adornos wortmächtige Kritik am Äquivalenzprinzip geleitet in diesem Sinn mein Beziehungsleben immer: Dass es nicht sein  soll, soziale Beziehungen nach dem Schema eines Tausches zu entstellen, hat viele Gespräche und Interaktionen gerettet, in denen ich sonst der Kälte des kapitalistischen Konventionalismus erlegen wäre.

Jetzt ist mir etwas klar geworden: Nämlich,  dass die Idee, man müsse jedes Geschenk eines Mitmenschen mit etwas gleichwertigen vergelten, wie eben in einem Tauschgeschäft, schon deshalb nicht zu verwirklichen ist, weil das Leben so vielfältig ist und auf so vielen Ebenen und in einem so reichen Spektrum sich abspielt, dass ein kognitiv begrenztes Wesen wie ich es gar nicht leisten könnte, zu berechnen, wann ich etwa ein gutes Gespräch mit einem Freund mit etwas Gleichwertigem wie einem Buchgeschenk für ihn ersetzt hätte. Damit zwei Menschen wirklich eine äquivalente Beziehung nach dem Tauschprinzip organisieren könnten, müssten sie eine gigantische Kalkulationsaufgabe bewältigen: Wie um alles in der Welt sollte ich Wechselkurse zwischen der Zärtlichkeit und dem Geistigen, der Solidarität und der praktischen Lebenshilfe und all den anderen Aspekten der Beziehung berechnen?

Ein gutes Argument gegen ein Leben gemäß des Tauschprinzips ist also unsere kognitive Beschränktheit, deren Reflexion uns zeigt, dass das falsche Ideal des Äquivalenzprinzip von endlichen, unvollkommenen Wesen wie uns Menschen einfach nicht zu verwirklichen ist (ganz abgesehen davon, dass es auch böse wäre, das zu versuchen).

Das heißt nicht, dass wir nicht versuchen sollten, Gerechtigkeit in unseren Beziehungen anzustreben, gerade in distanzierteren Beziehungen mit Menschen, die ich nicht gut kenne, sind die Ebenen weniger und die Berechnung weniger komplex und Gerechtigkeit kann dort teilweise die Form von gerechtem Tausch annehmen. Je näher, intimer und langlebiger eine Freundschaft oder Liebesbeziehung aber wird, desto weniger können und sollen wir sie meiner Meinung nach an Tauschprinzipien orientieren.

Ein Europa der stärkeren Solidarität

Eine Gute Nachricht: Vertreter*innen von SPD, Grünen und der Linken stricken einen linksliberalen Plan, wie in der EU die von der Krise der Ökonomie besonders hart getroffenen Staaten solidarisch von den anderen getragen werden können: Europäische öffentliche Anleihen und ein Sozialfond dürften dafür vorgesehen sein. Endlich ein wenig Hoffnung für die Zukunft der EU – und damit für uns.

Die deutsche Sprache fegen #2

Ich spreche oft über meinen Körper in dieser Weise: „Mein Bein tut mir weh.“ oder „Mein Rücken schmerzt.“ Wenn ich so rede, konzipiere ich mich als Menschen als zwiegespaltenes Wesen: Ich bestehe dieser Redeform nach aus Bewusstsein (oder, um ein anderes Wort zu verwenden, dass einen ähnlichen Bedeutungsgehalt hat: Geist), und mein Körper ist diesem Bewusstsein ein Eigentum, wie ein Gegenstand Eigentum einer Person ist. Daher kommt auch die Empörung, die ich manchmal über mein schmerzendes Bein empfinde, weil sich dieses Bein doch einfach nicht gut anfühlen will, obwohl es doch mein Eigentum zu sein scheint.

Stattdessen sage ich auch manchmal: „Ich habe Schmerzen im Bein.“ Das ist schon etwas besser, da wenigstens das Bein nicht als mehr Eigentum des Bewusstseins dargestellt wird, sondern nur noch die Beinschmerzen. Das ist sicher aber auch nicht perfekt.

Aber es ist schwer, im Alltag eine monistische Sprechweise zu verwenden, also eine Sprechweise, die zu zeigen versucht, dass Körper und Geist eins sind, weil der Dualismus von Körper und Geist in vielen gewohnten Formulierungen mitschwingt.

die deutsche Sprache fegen, No. 1

Robert Brandom, der Autor von „Making it explicit“, in dem er eine  philosophische Grundlegung der Wissenschaftstheorie entwirft, schreibt vom „grooming of our concepts“, dem „Fegen unserer Begriffe“. Damit meint er zum Beispiel, dass wir Widersprüche, die wir und unsere Sprache mit unseren Aussagen erzeugen, mit der Zeit aus unserer Sprachpraxis entfernen.

Ich habe noch vor einigen Jahren gedacht, dass das eine Sache der Universität und der Wissenschaft ist, aber ich glaube, im sonstigen sozialen Leben ist das auch wichtig.

Jetzt fange ich in diesem Beitrag damit an, Widersprüche oder Uneindeutiges zu fegen.

Als Kinder haben wir oft zwei Worte benutzt, wenn wir  sagen wollten, dass etwas in unseren Besitz übergegangen ist: „bekommen“ und „kriegen“. In einer Situation, in der jemand uns etwas schenken würde, ist es nach meiner Theorie der Konnotationen und der verschiedenen Sprachebenen, nicht gut „Krieg ich das?“ zu sagen, weil „kriegen“ die Assoziation „Krieg“ erzeugt, also eine gewaltsame Aneignung gegen den Willen der Anderen, die vorher im Besitz von etwas (Territorien, Gold, und Freiheit) war.

Stolz und Selbstwertgefühl

Axel Honneth beschreibt „Selbstwertgefühl“ als das „Selbstverhältnis“, das aus der Erfahrung von Solidarität als einer Anerkennungsform von dreien (Liebe und Respekt sind die anderen beiden, ihnen korrespondieren Selbstvertrauen und Selbstachtung) entsteht.

Jetzt frage ich mich, wie das in Beziehung zu der Emotion Stolz steht. Aus meiner Rezeption buddhistischer Philosophie heraus dachte ich jahrelang, „Stolz wurzelt im Ego.“, und dachte also, wenn ich stolz bin, ist das irgendwie schlecht oder sogar böse, eogoistisch eben. Die Buddhisten glauben außerdem, wie Arthur Schopenhauer, dass unser jeweiliges Ego über uns den „Schleier des Nichtwissens“ hängt und wir alle möglichen Täuschungen glauben, wenn wir egoistisch sind.

Gestern wurde mir dann klar, dass Stolz aber außerdem manchmal einfach gefährlich ist. Ich zum Beispiel überschätze mich aus Stolz oft und wundere mich dann, dass ich leide und wütend und traurig werde.

Aber das Wort Stolz kann sowohl als sprachliches Zeichen für die Emotion verwendet, die ich fühle, wenn ich etwas sehr Schwieriges geschafft habe, und mich selbst gut finde, also im Sinne von Selbstwertgefühl, und es kann auch als ein Wort für Selbstachtung gebraucht werden. Sich den Stolz zu verbieten ist deshalb destruktiv. „Stolz“ ist sozusagen ein unentfaltetes Wort, und eingefaltet darin sind Bedeutungsfacetten der zwei Begriffe „Selbstachtung“ und „Selbstwertgefühl“, die Honneth dann ausdifferenziert hat.

Bei Liebe und Selbstvertrauen ist es aber oft anders, ich liebe Menschen oft wegen und auch oft trotz ihres Scheiterns und ihrer Schwächen. Manchmal aber auch, wenn sie stolz sind und sich nichts befehlen lassen. Und ich werde auch oft wegen oder trotz meines Scheiterns geliebt.

Wolf Biermann, die Bonzen und ich

Ich höre gerade die „Große Ermutigung“ von Wolf Biermann auf Deutschlandradio Kultur.

Der Sänger erzählte vorher von seiner „Ausbürgerung“ aus der DDR, er hatte sich mit den „kommunistischen“ Bonzen angelegt und durfte aus der BRD nicht mehr zurück reisen.

Was für ein Euphemismus ist das Wort „Ausbürgerung“. Das ist eine schreckliche Sprache.

Zu schön, um wahr zu sein?

Manche Leute sagen ja öfter, etwas sei „zu schön, um wahr zu sein“. Heute fiel mir diese Redewendung wieder ein und ich habe mich gefragt, was das eigentlich bedeuten soll. Wenn etwas richtig richtig schön ist, so ganz ohne Haken und ohne Wermutstropfen, dann kann es nicht wahr sein?

Ich habe jetzt bei einer Schulveranstaltung meinem Schulleiter erzählt, warum mein Fairphone fair ist. Er zeigte mir deutlich seine Skepsis. Ich habe aber (obwohl ich selber Zweifel habe, wie fair das Ding wirklich hergestellt wird) voller Überzeugung die Fairness der Fairphone Stiftung vertreten. Ich glaube, ich hab einfach jetzt die Nase voll davon, die Wirklichkeit und meine Mitmenschen dauernd unter Generalverdacht nehmen zu lassen, das an allem Guten und Schönen und Edlen irgendwas gelogen sein müsse, weil ja die Welt schlecht sei und die Menschen daran schuld.

Manches, was passiert, ist vielleicht einfach gut und schön und edel. Manches, was Menschen tun, manche Momente und Erlebnisse, manche Gefühle. Ich habe da gerade einige neue Erfahrungen gemacht.