One too many goodbyes

 

Lyrics: © Arne Erdmann  2015

Music: Bob Dylan

 

I can see it in your eyes, I can hear it in your voice

I will stay and you will leave, we both have no choice

It seems I am collecting farewells of this kind

I am one too many mornings and a thousand miles behind

 

I will sit a long time watching the space where you have been

reconstructing my mistakes, your beauty and my sin

but then I’ll get exhausted ‚cause truth I will not find

I am one too many mornings and a thousand miles behind

 

Time may tell from a distance that I’m not really bad

just unsteady, too resistant and a little bit too sad

you’ll distinguish my deeds from the pictures in your mind

but you’ll be one too many mornings and a thousand miles behind

 

as my memory is fading and you’re swallowed by the past

remain two things I remember and I know that they will last

how my doubts led into darkness and your smile used to shine

I am one too many mornings and a thousand miles behind

 

 

 

Ökologismus, Anarchismus und die hessischen Grünen

Gestern ging ich die Straße entlang, in der ich wohne, und fragte mich, warum ich eigentlich keine Ideologie mehr habe. Früher hatte ich mal eine, dachte ich, wo ist die hingekommen? Und was war es noch gleich für eine? Ich spürte schmerzlich, dass diese spezielle Form des modernen Glaubens eine Stütze für mich gewesen war, meine Entscheidungen zu treffen: Diese jetzt abhanden gekommene Glaubensvorstellung hatte mir doch in vielen Situationen geholfen, Gründe zu finden, warum ich wie handeln sollte und das, was ich getan hatte, auch vor anderen zu rechtfertigen.

Und jetzt war sie anscheinend weg. Ich fing an, einige Momente lang angestrengt nachzudenken. Was war es noch gewesen, an das ich geglaubt hatte? War es was religiöses? Ich erinnerte mich dunkel an eine Phase pantheistischer Vorstellungen davon, dass irgendwelche geheimnisvollen Kräften in allen Lebewesen und in der Welt wirkten. Da war ich 18. Aber das konnte es nicht gewesen sein, weil ich in der Zeit eher orientierungslos war und der Vorteil von meiner Ideologie musste es doch gewesen sein, dass sie mir genau sagte, wo es lang zu gehen hat.

Dann erinnerte ich mich, dass ich ja vor der pantheistischen Phase Anarchist gewesen war. Ich hatte ein Buch über Anarchismus gelesen (von Daniel Guérin, Suhrkamp), und ich hatte eine schwarze Fahne genäht, die ich immer aus dem Fenster hing, wenn meine Eltern in Urlaub fuhren und meine Geschwister und ich das Haus für uns hatten.

Ich hörte dann aber irgendwann vorläufig auf, an den Anarchismus zu denken. War ich ideologielos geworden? Das würde erklären, warum mir große Teile der darauffolgenden Lebensjahre im Rückblick betrachtet so vorkommen, als sei ich einfach so dahingedriftet, ohne richtig zu wissen, wohin.

Ich dachte noch einen Moment länger nach (ich habe im Philosophiestudium gelernt, dass man nicht zu früh mit Nachdenken aufhören sollte) und da fiel mir folgendes Wort ein: „Ökologismus“. Da hatte ich nun dieses Gefühl gelinden Erschreckens, das mich oft ergreift, wenn ich eine Wahrheit erkannt habe, die nicht nur angenehm ist. Klar: Ich hatte ja mit 15 die Jungen Grünen Kreuztal mitgegründet und war lange Jahre dort mehr oder weniger aktiv.Und offensichtlich hatte ich dort eine Ideologie vermittelt bekommen, die ich nur nicht so klar als Ideologie erkannt habe: Ökologismus.

Ökologismus verhält sich zum Ökologischen wie der Sozialismus zum Sozialen: Menschen sind soziale Wesen, das ist ein spätestens seit der griechischen Antike bekannter Fakt, und selbst die konservativen und die reaktionären Gegner*innen der Sozialist*innen würden das nie bestreiten, aber die sozialistische Ideologie beschreibt diesen Fakt nicht nur, sondern leitet daraus die Notwendigkeit ab, eine solidarische und gerechte Gesellschaft zu schaffen, in der es keine Klassen von Menschen mehr gibt, keine Spaltung zwischen Besitzlosen und Besitzenden, Mächtigen und Ohnmächtigen.

Genau diese Doppeldeutigkeit, ein unbestreitbares Faktum zu beschreiben, und gleichzeitig daraus  abzuleiten, dass wir auf eine ganz bestimmte Weise handeln müssen, ist auch charakteristisch für den Ökologismus. Der Fakt ist: Menschen sind Lebewesen, die nur in einer lebendigen und intakten natürlichen Umgebung als Art überlebensfähig sind. Daraus leitet aber der Ökologismus die Forderung ab, dass wir diese natürliche Umgebung schützen und erhalten müssen. Laut der ökologistischen Ideologie muss das das oberste Prinzip unseres Handelns und wichtiger als alle anderen Leitideen sein (zum Beispiel des Sozialismus, des Liberalismus, des Konservatismus und so weiter).

Und genau wie beim Sozialismus kann man dem scheinbar nicht so richtig widersprechen: Wer will schon bestreiten, dass Menschen Luft atmen, sich ernähren und vor Überschwemmungen und Dürren geschützt werden müssen, wenn sie überleben wollen?

Was aber nicht so ganz koscher am Ökologismus ist, ist dasselbe wie bei allen anderen Ideologien: Dass Ökologist*innen so reden und handeln, als hätten sie im Gegensatz zu den Anhänger*innen anderer Glaubensrichtungen als Einzige die Einsicht, was das oberste Orientierungsprinzip im Politischen sein muss.

Damit das funktioniert und möglichst viele Menschen das glauben (was ziemlich hilft, wenn man an die Macht will), muss der Ökologismus aber verschleiern, dass er auch bloß ein Glaube unter vielen ist, und sein Prinzip deshalb auch nur eins unter vielen. Das funktioniert so, dass Ökologist*innen so tun und reden, als könnten sie von außen auf die Welt schauen und würden sie, im Gegensatz zu den Konservativen oder Sozialist*innen, als einzige total verstehen. Weil sie eben von außen auf sie schauen und so erkennen können, was die Welt zusammenhält. Und nur wer das Ganze begreifen kann, hat auch natürlich die Ahnung, was alle tun müssen, damit wir gut leben können.

So. Da hatte ich es also: Ich war lange Jahre meines Lebens Anhänger einer Ideologie gewesen, die ich gar nicht als solche erkannt hatte, unter anderem, weil ich das Wort Ökologismus noch nicht kannte. Das war der Grund, warum ich so ein bisschen erschrak, als mir das Wort einfiel: Ich erschrak über meine eigene Blindheit.

Heute bin ich Ökologist, wie ich Anarchist bin: So teilweise. Ich finde es gut, die Umwelt zu schützen und fahre deswegen Fahrrad und Bahn statt Auto, und kaufe Öko-Produkte ein, wo immer ich kann. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl, auf einer Mission zu sein und alle Leute davon überzeugen zu müssen, dass das oberste Prinzip unseres Lebens der Schutz der ökologischen Systeme sein muss. Ich glaube nämlich, dass hinter diesem missionarischen Motiv ein als Fürsorge verkleideter Machtwille steckt. Weshalb ich auch ehrlich gesagt von meiner Freundin Angela Dorn sehr enttäuscht war, als sie auf der Landesmitgliederversammlung der hessischen Grünen letztes Jahr die schwarz-grüne Koalition damit gerechtfertigt hat, dass wir durch den Koalitionsvertrag jetzt sicher sein könnten, auch in Jahrzehnten noch unter denselben Bäumen spazieren gehen zu können. Dass wir dank der hessischen CDU auch in Jahrzehnten noch Beton und Lärm der neuen Startbahnen des Fraport ertragen müssen, kam in ihrer Rede nicht so vor. Das war für mich umso schlimmer, als ich ja vor der Landtagswahl 2014 noch als Komparse in einem Wahlwerbevideo für Angela Dorn mitgespielt habe. Wir liefen da unter hessischen Bäumen entlang.

Ist jetzt halt doof gelaufen in Hessen, könnte aber schlimmer sein, wenn die CDU die absolute Mehrheit bekommen hätte, zum Beispiel. Aber mein Ökologismus hat mich, statt mich vernünftig zu orientieren, in eine Falle gelockt, in der meine Emotionen, meine sozialen Beziehungen und meine Ziele von der hessischen CDU  für Machtzwecke benutzt werden konnten. Dadurch bin ich jetzt doch wieder mehr Anarchist geworden: Ich habe wieder ein tiefes Misstrauen gegen Mächtige, Machtwillen und Machtverhältnisse.

Der Kapitalismus, Resonanz und Kaffee wie in einer italienischen Bar

Ich frage mich schon länger, wieso ich, obwohl mir ziemlich klar ist, dass im Kapitalismus kein wirklich gutes Leben möglich ist, trotzdem noch in dieser Gesellschaftsordnung mitmache, brav konsumiere, arbeite und Steuern zahle und mich zusätzlich noch sozialreformerisch betätige, um das System zu verbessern, statt auf Revolution zu setzen und mich zu verweigern.

Jetzt habe ich mir zum Beispiel, statt nach Frankfurt zu Blockupy zu fahren, eine sehr teure gebrauchte High-End-Siebträger-Espressomaschine gekauft, so eine verchromte, von der es heißt, sie ermögliche „Kaffee wie in einer italienischen Bar“. Man kann also sagen, ich war im letzten Monat ein Deserteur der Revolution.

Ich bin tatsächlich halb unglücklich und halb erleichtert, dass ich nicht zu Blockupy gefahren bin, weil Gewalt echt nicht mein Ding ist, auch nicht gegen Sachen. Ich habe zum Beispiel mal bei einer Anti-Nazi-Demo in Gladenbach, wo Mitdemonstrierende im Dorf Mülltonnen auf der Straße umgeschmissen haben, die Mülltonnen wieder aufgestellt und eingeräumt, weil ich das echt bescheuert finde, in seinem Revolten-Furor statt der Nazis (die von der Polizei beschützt wurden) die Mülltonnen der Gladenbacher*innen zu bekämpfen.

Nevermind. Trotz meiner Ablehnung von Gewalt bin ich ein bisschen unglücklich darüber, nicht wenigstens bei der friedlichen Blockupy- Kundgebung auf dem Römer gewesen und Naomi Klein gehört zu haben, die darüber gesprochen hat, wie der Kapitalismus den Planeten zerstört. Und stattdessen diese Espressomaschine gekauft zu haben, für die ich viele Stunden im Internet recherchiert habe.

Dieser Blogeintrag dient jetzt dazu, mein Revolutionspunktekonto wieder ein bisschen aufzuhübschen. Und das soll wie folgt funktionieren: Ich analysiere mein revolutionäres Versagen mit der Kaffeemaschine und helfe den Leser*innen so, nicht in die gleiche Falle zu tapsen. Der Begriff, mit dem ich das machen will, stammt aus dem Buch von Rosa/Dörre/Lessenich: „Soziologie Kapitalismus Kritik.“, das bei Suhrkamp erschienen ist, und heißt „Resonanz“. Resonanz zu erfahren heißt: Wir haben das Gefühl, dass die Welt und unsere Mitmenschen auf unsere Wünsche, Gefühle, Handlungen und Äußerungen so antworten, dass wir uns wahrgenommen, verstanden, akzeptiert und geliebt fühlen und spüren, dass wir etwas bewirken können. Ich kenne niemanden, der sich das nicht wünscht.

Was das jetzt mit meiner neuen gebrauchten Espressomaschine zu tun hat? Folgendes: Ich bin dem Kapitalismus voll auf den Leim gegangen, der nämlich systematisch die Illusion von Resonanz erzeugt. Ich habe mir eigentlich gewünscht, von meinen Mitmenschen als jemand wahrgenommen zu werden, der irgendwie Kreativität, Unabhängigkeit, Lebensgenuss und Hipness mit Tradition, Nachhaltigkeit und einem gewissen edlen Konservatismus vereint. Voila: Genau das leistet meine neue Espressomaschine Italian Style. Deshalb musste sie auch verchromt sein und nicht Edelstahl gebürstet wie die, die meine besten Freunde haben. So. Jetzt kriege ich die und habe das Gefühl, dass a) der Kapitalismus auf meine Wünsche und Bedürfnisse mit deren Befriedigung antwortet und b) ich meine Mitmenschen durch ein Objekt, das als Symbol funktioniert, dazu bringen kann, mich so wahrzunehmen, wie ich gerne wahrgenommen werden will. Resonanz. Oder so was ähnliches. Denn in Wirklichkeit ändert sich mein Leben natürlich nicht wirklich, nur weil mein Espresso besser schmeckt und aus einer schickeren Maschine kommt. Mein Leben ändert sich, wenn ich öfter Freund*innen zum Kaffeetrinken einlade und wir uns erzählen, was für uns das gute Leben wäre. Darauf antwortet der Kapitalismus aber nun überhaupt nicht, weil meine Freund*innen zum Teil drei Jobs gleichzeitig haben und deshalb selten Zeit, bei einem guten Kaffee über ihre Lebensträume zu reden. Und ich auch oft plötzlich an meine Aufgaben in der Schule denken muss und mich deshalb nicht so richtig im Gespräch entspannen kann. Schön reingefallen, denn daran ändert die neue Espressomaschine nun wirklich nichts.

Also: Wenn Du mal überlegst, ob Du Deine Zeit für eine Kundgebung auf dem Frankfurter Römer oder zum Arbeiten und Konsumieren verwendest, rate ich Dir, Dich zu fragen, welche Art von Resonanz Du Dir wünschst, und wo Du die her bekommst.

Liebe unprofitabel

Allen, die sich manchmal fragen, warum das eigentlich so unglaublich schwierig ist, in einer Beziehung das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Bindung zu halten, sei hier die Lektüre von Eva Illouz und Judith Butler empfohlen. Mit der Kombination der Bücher „Warum Liebe weh tut“ und „Psyche der Macht“ kann mensch sich das nämlich erklären.

Meine Erklärung geht so: Der Kapitalismus hat einen zentralen Widerspruch immer weiter verstärkt, der sich besonders auf Liebesbeziehungen auswirkt: Denn einerseits werden im Kapitalismus Leute gebraucht, die möglichst frei und ungebunden sind, damit man sie als global agierendes, ständig die neuesten Entwicklungen mitgestaltendes Management überall schnell einsetzen kann: Keine Bindungen, Kinder, Ehepartner, die die Flexibilität der Arbeitenden beeinträchtigen. Gerade weil sich alles so schnell wandelt, braucht man Leute, die sich schnell anpassen, keine Klötze am Bein haben und übermorgen in der Filiale in New York das Marketing auf die neuesten Trends umstellen. Dasselbe gilt auch für alle Menschen, die gezwungen sind, ein prekäres Dasein zwischen Minijobs und Scheinselbständigkeit zu führen, bloß ist es da noch schlimmer.

Diesem Zerrbild der Freiheit steht ein zweiter funktioneller Bedarf des Kapitalismus gegenüber: Marx hat das die Reprodukion der Arbeitskraft genannt. Das bedeutet unter anderem: Die Leute müssen auch irgendwie arbeitsfähig bleiben, körperlich und psychisch klarkommen, brauchen Zuneigung und einen privaten Beziehungsraum, der die Zwänge und Härten der Arbeitswelt kompensieren hilft. Und: der Kapitalismus braucht Kinder. Ohne Kinder gibt es keine Arbeitskräfte, insbesondere die Eliten sollen sich ja, wie wir seit Thilo Sarrazin wissen, in Deutschland endlich mal ordentlich fortpflanzen, weil dieses Land ja sonst bald bloß noch aus faulen und dummen Leuten besteht.

Das Problem an der ganzen Sache ist nun: Das sind zwei Erwartungen, die der Kapitalismus an uns stellt, die ganz und gar nicht zusammenpassen: Kinder bedeuten Bindung, Kinder brauchen Verlässlichkeit, Freunde, ein vertrautes Umfeld und stabile Beziehungen. Wenn wir gleichzeitig aber total flexibel sein sollen und morgen in Köln und übermorgen in Frankfurt arbeiten sollen, dann wird das schwierig. Und wenn zwei Partner*innen beide befristete Jobs haben, die eine aber in Köln und der andere in Berlin ist, dann sind vielleicht beide recht autonom, aber es wird schwierig, ein Beziehungsleben zu organisieren, das Kraft für die Anforderungen der Arbeitswelt gibt.

Ich hab deshalb großen Respekt vor allen Leuten, die unter diesen Umständen glückliche und stabile Liebesbeziehungen aufbauen. Denn eins ist klar: Entweder wir sind frei, uns in jede gewünschte Richtung zu entwickeln, oder wir sind in festen Bindungen, die unseren Identitätswandel bremsen und unsere Optionen begrenzen. Beides zugleich überfordert. Familien, die das beides können, sind oft kleine Roboterfabriken, in denen kein Leben stattfindet, das nicht diktiert ist von äußeren Anpassungszwängen.

Das ist doch aber ganz schön, jetzt zu wissen, dass diese Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Bindung und dem Wunsch nach Freiheit nicht mein persönliches Problem ist, sondern ein Problem der Gesellschaftsordnung, in der ich lebe. Ich weigere mich, die dauernden Krisen dieser Verwertungslogik, die sich in ihren eigenen Widersprüchen verheddert, als meine eigene Schuld und mein persönliches, subjektives, inneres Problem zu sehen. Ich kenne so viele Leute aus der akademischen Mittelklasse, die um ihre Liebesbeziehungen kämpfen müssen, dass ich an dieser Stelle und ganz zum Schluss Herrn Sarrazin gerne sagen möchte: Schaffen Sie den Kapitalismus ab oder reformieren Sie ihn vernünftig, dann kriegen wir so viele Kinder, dass Sie sich umgucken werden. Allerdings muss ich gleich dazu sagen, dass es diesen Kindern dann ziemlich Banane vorkommen wird, wenn Herr Sarrazin wieder mit seinem Protorassismus um die Ecke kommt, weil diese Kinder dann frei und gleich mit anderen Kindern aller möglichen Länder zusammen leben werden. Denn ohne kapitalistischen Konkurrenzdruck wirds dann auch keinen Hass zwischen irgendwelchen konstruierten Gruppen geben, und die Leute werden sich fragen, warum die Leute früher eigentlich so ein Wort wie „Deutscher“ wichtiger fanden als so ein Wort wie „Cineast*in“.