Ein Europa der stärkeren Solidarität

Eine Gute Nachricht: Vertreter*innen von SPD, Grünen und der Linken stricken einen linksliberalen Plan, wie in der EU die von der Krise der Ökonomie besonders hart getroffenen Staaten solidarisch von den anderen getragen werden können: Europäische öffentliche Anleihen und ein Sozialfond dürften dafür vorgesehen sein. Endlich ein wenig Hoffnung für die Zukunft der EU – und damit für uns.

Die deutsche Sprache fegen #2

Ich spreche oft über meinen Körper in dieser Weise: „Mein Bein tut mir weh.“ oder „Mein Rücken schmerzt.“ Wenn ich so rede, konzipiere ich mich als Menschen als zwiegespaltenes Wesen: Ich bestehe dieser Redeform nach aus Bewusstsein (oder, um ein anderes Wort zu verwenden, dass einen ähnlichen Bedeutungsgehalt hat: Geist), und mein Körper ist diesem Bewusstsein ein Eigentum, wie ein Gegenstand Eigentum einer Person ist. Daher kommt auch die Empörung, die ich manchmal über mein schmerzendes Bein empfinde, weil sich dieses Bein doch einfach nicht gut anfühlen will, obwohl es doch mein Eigentum zu sein scheint.

Stattdessen sage ich auch manchmal: „Ich habe Schmerzen im Bein.“ Das ist schon etwas besser, da wenigstens das Bein nicht als mehr Eigentum des Bewusstseins dargestellt wird, sondern nur noch die Beinschmerzen. Das ist sicher aber auch nicht perfekt.

Aber es ist schwer, im Alltag eine monistische Sprechweise zu verwenden, also eine Sprechweise, die zu zeigen versucht, dass Körper und Geist eins sind, weil der Dualismus von Körper und Geist in vielen gewohnten Formulierungen mitschwingt.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Ich habe einen alten Bucheintrag von mir aus dem Jahr 2013 wieder gelesen. Dort habe ich Gedanken gesammelt, wie sich die Gesellschaft durch unser Handeln verändert. Es findet eine Beschleunigung unseres Lebens statt, wir erleben Globalisierung und Technologisierung. Letztere ist neben der Ursache für Beschleunigung auch die Ursache für mehr freie Zeit.

Aber freie Zeit hat keine Vorteile, wenn meine Verstrickungen in Beziehungen und meine Vielfalt an Optionen mein leben immer weiter beschleunigen, bis ich das Ziel meines Lebens aus dem Blick verliere.

Vielleicht werde ich trotzdem lernen, die freie Zeit dazu zu nutzen, mich aus den Zwängen zu befreien.

 

Heute fühle ich mich schwer

Ich bin heute beladen und mein Leben ist mühevoll. Aber in der Bibel steht: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.“ Das glaube ich.

die deutsche Sprache fegen, No. 1

Robert Brandom, der Autor von „Making it explicit“, in dem er eine  philosophische Grundlegung der Wissenschaftstheorie entwirft, schreibt vom „grooming of our concepts“, dem „Fegen unserer Begriffe“. Damit meint er zum Beispiel, dass wir Widersprüche, die wir und unsere Sprache mit unseren Aussagen erzeugen, mit der Zeit aus unserer Sprachpraxis entfernen.

Ich habe noch vor einigen Jahren gedacht, dass das eine Sache der Universität und der Wissenschaft ist, aber ich glaube, im sonstigen sozialen Leben ist das auch wichtig.

Jetzt fange ich in diesem Beitrag damit an, Widersprüche oder Uneindeutiges zu fegen.

Als Kinder haben wir oft zwei Worte benutzt, wenn wir  sagen wollten, dass etwas in unseren Besitz übergegangen ist: „bekommen“ und „kriegen“. In einer Situation, in der jemand uns etwas schenken würde, ist es nach meiner Theorie der Konnotationen und der verschiedenen Sprachebenen, nicht gut „Krieg ich das?“ zu sagen, weil „kriegen“ die Assoziation „Krieg“ erzeugt, also eine gewaltsame Aneignung gegen den Willen der Anderen, die vorher im Besitz von etwas (Territorien, Gold, und Freiheit) war.

Stolz und Selbstwertgefühl

Axel Honneth beschreibt „Selbstwertgefühl“ als das „Selbstverhältnis“, das aus der Erfahrung von Solidarität als einer Anerkennungsform von dreien (Liebe und Respekt sind die anderen beiden, ihnen korrespondieren Selbstvertrauen und Selbstachtung) entsteht.

Jetzt frage ich mich, wie das in Beziehung zu der Emotion Stolz steht. Aus meiner Rezeption buddhistischer Philosophie heraus dachte ich jahrelang, „Stolz wurzelt im Ego.“, und dachte also, wenn ich stolz bin, ist das irgendwie schlecht oder sogar böse, eogoistisch eben. Die Buddhisten glauben außerdem, wie Arthur Schopenhauer, dass unser jeweiliges Ego über uns den „Schleier des Nichtwissens“ hängt und wir alle möglichen Täuschungen glauben, wenn wir egoistisch sind.

Gestern wurde mir dann klar, dass Stolz aber außerdem manchmal einfach gefährlich ist. Ich zum Beispiel überschätze mich aus Stolz oft und wundere mich dann, dass ich leide und wütend und traurig werde.

Aber das Wort Stolz kann sowohl als sprachliches Zeichen für die Emotion verwendet, die ich fühle, wenn ich etwas sehr Schwieriges geschafft habe, und mich selbst gut finde, also im Sinne von Selbstwertgefühl, und es kann auch als ein Wort für Selbstachtung gebraucht werden. Sich den Stolz zu verbieten ist deshalb destruktiv. „Stolz“ ist sozusagen ein unentfaltetes Wort, und eingefaltet darin sind Bedeutungsfacetten der zwei Begriffe „Selbstachtung“ und „Selbstwertgefühl“, die Honneth dann ausdifferenziert hat.

Bei Liebe und Selbstvertrauen ist es aber oft anders, ich liebe Menschen oft wegen und auch oft trotz ihres Scheiterns und ihrer Schwächen. Manchmal aber auch, wenn sie stolz sind und sich nichts befehlen lassen. Und ich werde auch oft wegen oder trotz meines Scheiterns geliebt.

Wolf Biermann, die Bonzen und ich

Ich höre gerade die „Große Ermutigung“ von Wolf Biermann auf Deutschlandradio Kultur.

Der Sänger erzählte vorher von seiner „Ausbürgerung“ aus der DDR, er hatte sich mit den „kommunistischen“ Bonzen angelegt und durfte aus der BRD nicht mehr zurück reisen.

Was für ein Euphemismus ist das Wort „Ausbürgerung“. Das ist eine schreckliche Sprache.

Hegel, die Geschichte und Bob Dylan

Ich habe heute fahrradfahrend eine Idee für einen Ansatz einer Geschichtsphilosophie. Ich hatte folgende Idee: Ich radelte so vor mich hin und dachte darüber nach, dass unsere Sprache und unser Sprechen meistens aufgrund der Mehrdeutigkeit der Worte, die wir verwenden, ganz viele unterschiedliche Bedeutungsebenen gleichzeitig haben, weil wir assoziieren können, sobald wir ein Wort in einer Bedeutung verwenden, und die anderen Bedeutungen schwingen mit. In der Linguistik nennen sie das Mitschwingen dann Konnotation (im Gegensatz zur Denotation, die die im Kontext funktionale Bedeutung, zum Beispiel der gemeinte Bezug auf einen Gegenstand, ist). Wenn ich jetzt also zu einem Freund sage: „Ich treffe xy bald auch persönlich.“ Dann kann ich mit dem Wort „persönlich“ einfach meinen, ich kommunizierte bisher nur per Email mit dem Menschen, und jetzt treffe ich ihn so richtig mit körperlicher Sinneswahrnehmung, sehe xy in die Augen, höre seine Stimme, sehe, ob er gestresst aussieht oder nicht usw.

Aber es gibt noch andere Bedeutungsebenen des Wortes „persönlich“: Wir können damit konnotativ meinen, dass es eine große Ehre ist, mit der Person xy sich überhaupt treffen zu dürfen, weil Person xy eigentlich schrecklich wenig Zeit hat, weil sie so wichtig ist. Blöderweise ist unsere Sprache aber so uneindeutig, dass damit auch ganz genauso gemeint sein kann: Meine Person ist so wichtig und ich habe so wenig Zeit, dass ich dem Menschen xy großmütig meine Zeit schenke für ein „persönliches Gespräch“.

So. ich könnte jetzt noch mehr Bedeutungsebenen des Wortes „persönlich“ aufzählen, aber ich will auf einen ganz einfachen Punkt hinaus, und deshalb lasse ich das mal.

Mein Punkt ist der: Vielleicht entwickelt sich in der Geschichte der Menschheit (und das sage ich trotz Proudhon) die Bedeutungskomplexität der Sprache immer weiter, und was am Anfang wie eine Knospe war, ein Wort wie „persönlich“, das entwickelt im Laufe der Geschichte der Kommunikation immer mehr Nuancen, Teilbedeutungen und unsere Sprache bekommt viele Ebenen gleichzeitig. Das kann ganz schön überfordern, weil wir dauernd interpretieren müssen, welche Ebenen jetzt wichtig sind und welche nicht, gerade wenn Leute diese Mehrebenen-Struktur gemein ausnutzen.

Deshalb genießen wir Poesie so sehr, weil sie uns entlastet von dem Zwang, immer genau zu wissen, welche Bedeutung jetzt gemeint ist. Hier ein kleines Beispiel:

„Outside in the cold distance

a wildcat did growl

two riders were approaching

and the wind began to howl.“

Mein Alltag im Spätkapitalismus, die SUVs und eine gute Freundin

Ich hab mir von einer Freundin eine Taktik abgeschaut, um mit meiner Wut klarzukommen, und sie aber leicht variiert, und zwar mache ich folgendes: Wenn ich mal wieder mit meinem Fahrrad in der Stadt fahre, und total genervt bin, weil alle Leute sich komisch verhalten, oder einfach, weil ich mal wieder Bauchschmerzen, Rückenschmerzen oder Seelenschmerzen habe, dann denke ich „Scheiß Autofahrergesellschaft!“ Manchmal sage ich es auch halblaut vor mich hin, und wenn die Karren total laut sind, sage ich es auch laut, in der Hoffnung, dass niemand denkt, dass ich bescheuert bin. Egal.

Zu der Autofahrerei habe ich einen Song angefangen, dessen Fragment ich hier mal präsentiere:

We kill the trees and the feelings

it’s hard to feel while we drive in our cars

loving feels like stealing

and we pour our freedom from our jars.

 

Say No, this ain’t living

Say No, this ain’t life

Say I’ll never give in

Say No this ain’t life

Also: An allem ist die Scheiß Autofahrergesellschaft schuld! Ozonloch, Kriege, Bauchmerzen, Gestank, nervöse Leute, Hass in den Köpfen, alles die Scheiß Autofahrerei! Pfui! Und ich mit meinem Fahrrad mitten drin. Da soll mal einer klarkommen.

Das einzig blöde ist, dass ich jetzt gestern und vorgestern insgesamt etwa 300 km mit dem Auto meiner Eltern gefahren bin, davon 140 Kilometer einfach nur, weil ich abends in meinen Lieblingstanzclub in Marburg gehen wollte, und am nächsten Tag in Köln beim 1. Geburtstag meiner kleinen Nichte sein wollte, und weil unsere Familie in fünf Städten verteilt wohnt, könnten wir uns ohne Auto kaum treffen. was mache ich nun mit meinem Hassmantra? Drauf verzichten kann ich nicht, weil ich halt oft Hass und Wut fühle und es auch nicht richtig klappt, mir einzureden, das schon alles irgendwie in Ordnung ist, so wie es ist.

Am schlimmsten sind diese Privatpanzer, die sie „SUV“ nennen. Das ist das kapitalistische Symbol im Moment. Die SUV Besitzer können 100000 Tacken für so einen Scheiß Privatpanzer ausgeben, und ich kann mir als verbeamteter Lehrer mit halber Stelle noch nicht mal ein gebrauchtes Mountainbike kaufen, seit mein altes geklaut worden ist! OK, ich hab es auch nicht abgeschlossen, sonst wäre es mir nicht geklaut worden, aber ein bisschen Glaube an die moralische Integrität meiner Mitmenschen ist mir trotz der etwa 15 Räder, die mir in meinem Leben schon geklaut worden sind, abgeschlossene und unabgeschlossene,halt trotzdem geblieben.

Wenn es bei mir als verbeamtetem Lehrer schon finanziell so knapp ist, wie soll es erst einer alleinerziehenden Hartz-IV-Bezieherin gehen? Die würde sicher mit einem Auto wesentlich besser ihren Alltag bewältigen können, kann sich aber keins leisten, weil die SUV Besitzer einen Wagen im Wert von 10 normalen Wägen besitzen und damit die Straßen unsicher machen.

Wenn ich so drüber nachdenke, dann fällt mir auf, dass ein Auto nicht immer was schlechtes ist. Ich war echt glücklich beim Tanzen und auf dem Geburtstag meiner Nichte, und verdammt nochmal, ein Alltag als Alleinerziehende ist hart genug, wenn ein Auto gebraucht wird, dann her damit! Vielleicht können wir eine Steuer auf SUVs erheben, die sich so richtig gewaschen hat, und das zu den Hartz-IV Geldern umverteilen. So lange, wie die Politiker*innen das nicht gebacken kriege, sage ich weiter leise und auch laut:

Scheiß Kapitalismus!