Nijmegen 2012

Ich habe noch nie einen Satz gelesen, der gleichzeitig so fundamental und so fundamental egal ist. Hätte ich einen Hut aufgehabt, ich hätte ihn gezogen.

Unglückliche Liebe, der Kapitalismus und ich

Eva Illouz hat mich überzeugt: Durch die Art, wie die kapitalistische Gesellschaft unsere Gefühle, insbesondere Liebe, formt, sind die meisten Frauen schlechter dran als die meisten Männer. Mehr noch: Ich war froh, endlich eine soziologische Erklärung für das verletzende Verhalten mancher Frauen, die ich geliebt habe, zu lesen. Dass die Gleichberechtigung der Geschlechter den paradoxen Effekt hat, dass Frauen, die sich eine Familie wünschen, zugleich die Autonomie nutzen, die ihnen die neuen Beziehungsmärkte eröffnen, gleichzeitig aber durch ihre biologische Uhr gezwungen werden, die Rolle der anhänglichen und beziehungsorientierten Frau zu spielen, hat mir viele vorher schmerzhaft unverständliche, weil paradoxe Verhaltensweisen von ehemaligen Partnerinnen erklärt.

 

Was mich an Illouz Buch aber geärgert hat, war, dass ich bei ihrer Analyse der Erfahrungen von Frauen oft gedacht habe: Ja, genau, so geht es mir auch. Ich hatte zwar auch die von Illouz analysierte eher männliche Bindungsangst, dennoch kommen viele meiner emotionalen Erfahrungen im Buch ausschließlich als Erfahrungen von Frauen vor. Illouz schreibt: „Die Frauen, die „zu sehr lieben“, trifft die Schuld, das ökonomische Kalkül nicht zu verstehen.“1 Da Beziehungen als Verträge gesehen werden, und Zuneigung deshalb in der Form des Tauschs ausgeglichen sein sollte, leiden demzufolge diese Frauen, weil sie die Ökonomie der Liebesbekundungen unterlaufen und mehr Liebe schenken, als sie in einer Tauschbeziehung geben müssten. Damit vermindern sie aber den Wert ihrer Liebesbekundungen und machen sich damit unattraktiver für den beschenkten Partner. Als Mann, der auch immer wieder „zu sehr geliebt“ hat, fühle ich mich von Illouz statistisch weggemittelt. Das schlimme ist, dass ich diese Mechanismen der Liebesökonomie zwar erkannt habe, aber trotzdem hilflos gezwungen war, ihnen zuwiderzuhandeln, obwohl ich wusste, dass mich das in eine schlechtere Marktposition bringt. Illouz erklärt dies mit dem Wunsch nach Anerkennung, die für den Selbstwert gebraucht wird. Ich habe mich also verhalten wie all die Hausbesitzer in den USA, die ihre Häuser verkauft haben, obwohl deren Preise sanken, und damit die Preise noch weiter gesenkt haben. Die Krux an der Sache ist nur: Ich hatte nicht das Gefühl, eine Wahl zu haben, und zwar obwohl ich wusste, dass es erfolgversprechender wäre, meine Liebe zu portionieren und erstmal nur als Appetizer auf den Markt zu werfen. Ich bin genau wie viele Frauen daran gescheitert, Autonomie und Anerkennung in Beziehungen miteinander zu vereinbaren. Dass ich als Mann mehr Macht als Frauen habe, zu definieren, was wertvoll ist, nützt mir aber nichts, weil für mich diese Macht auszuüben auch heißt, aus meiner Liebe ein Machtspiel zu machen. Was ich nicht möchte.

 

Sicher ist es die Krux einer soziologischen Analyse, die gesellschaftliche Entwicklungsprozesse beschreibt und erklärt, nicht jedes soziale Phänomen behandeln zu können. Auch so habe ich aus Illouz Buch viel über die soziale Prägung meiner Gefühle gelernt, und wenn ich dazu oft Sätze, die anfangen „Viele Frauen…“ innerlich ergänzen musste mit „…und viele Männer….“, so ist das ein wesentlich geringeres Übel, als sozialen Prozessen einfach blind ausgeliefert zu sein, die mich unglücklich gemacht haben, wie es vor der Lektüre war.

 

Aber trotzdem fehlt mir in Illouz Buch eine Reflexion darüber, welchen Widersprüchen gerade die Männer ausgeliefert sind, die eigentlich aus feministischer Sicht die Partner abgeben können, mit denen gemeinsam Frauen der Herrschaft des Kapitalismus über die Gefühle ein Ende bereiten können.

 

Von Männern wird oft erwartet, dass sie mit einer ganzen Ladung alter und neuer Rollenfragmente jonglieren: Mal sollen Männer Kavaliere sein, mal aufregende Sexabenteurer, mal fürsorgliche und verständnisvolle Softies, dann wieder knallhart selbstbewusste Machtstrategen, auf deren Entscheidungskraft Verlass ist, dann wieder naive kleine Jungen, die sich für Neues begeistern können, dann sollen sie feministisch reflektiert an die Beziehung herangehen und im nächsten Moment den dominanten Lover geben. Ja, was denn nun? Wenn manche Männer es schaffen, mit diesen ganzen Verhaltensweisen erfolgreich zu jonglieren, bekommen sie kurz Applaus. Geht es schief, und die Rollenfragmente verwandeln sich in einen unzusammenhängenden Kladderadatsch, werden die Männer entweder bestraft, ausgelacht, bemitleidet, wohlmeinend von oben herab behandelt oder schlicht ignoriert.

 

Aus der Sicht vieler Männer ist die Situation also auch ziemlich übel: Frauen verlangen von ihnen, zugleich die Autonomie der Frauen zu respektieren, ihre männliche Autonomie unter Beweis zu stellen, inklusive ihrer Macht auf dem sexuellen Markt, und trotzdem verlässliche, fürsorgliche und nette Partner zu sein.

 

Es wäre gut, die Herrschaft des Kapitalismus über die Gefühle als etwas zu verstehen, was Männer und Frauen ständig neu erzeugen, und sich endlich gemeinsam zu weigern, dieses Spiel mitzuspielen. Dazu sollten Feministinnen deutlicher als Illouz die Bemühungen vieler Männer anerkennen, die Art, wie sie lieben, von der Macht des Kapitalismus und des Patriarchats freizuhalten.

 

1Illouz, Eva: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012. S. 259.