Helle Praxis statt düstere Wissenschaft

Kleine Idee zu Nikolaus Piper: „Düstere Wissenschaft“ SZ Nr. 228 vom 4./5.10.2014, S. 24.

Die Marktliberalen sind auch irgendwie lustig: Sie glauben so fest an ihre Doktrin, dass selbst ein Inquisitionsrichter des 17. Jahrhunderts dagegen wie ein Waisenknabe in Sachen Glaubensfestigkeit erscheint.

So schreibt Nikolaus Piper, trotz der Finanzkrise habe sich nichts „an der Erkenntnis geändert, dass die Menschen am besten selbst für ihre Belange sorgen und dafür nicht den Staat brauchen. Der Staat sollte den Markt ermöglichen, aber nicht ersetzen.“

So, und jetzt kommen wir zum spaßigen Sonntagnachmittag-Gewinnspiel (der Sieger gewinnt eine Aktie der Commerzbank, aber nur, wenn der deutsche Staat sie zum halben Kaufpreis wieder abstößt): Finden Sie den Fehler im rechten Bild!

Auflösung: Der erste Satz stellt die Behauptung auf, man brauche den Staat nicht. Daraus können wir in dem Kontext nur schließen: Alles kann über den Markt geregelt werden. Der zweite Satz stellt dann etwas fest, was dem ersten widerspricht: Der Staat solle „den Markt ermöglichen“. Wenn der Staat den Markt erst ermöglicht, brauchen die Menschen eben auch den Staat, weil es ohne den keinen Markt gibt.

Im Unterschied zu SZ-Wirtschaftsjournalisten müssen wir ökonomischen Laien uns nun entscheiden, welcher dieser zwei sich gegenseitig widersprechenden Aussagen wir Glauben schenken.

Mir scheint erstmal Satz zwei plausibel: Wir brauchen den Staat, um den Markt zu ermöglichen. Ohne Staat gibt es keine Garantie von Eigentumsrechten, und damit gibt es immer die Möglichkeit, dass Menschen ihre Interessen statt durch Tauschgeschäfte durch Gewalt, Raub und Erpressung durchsetzen. Unter diesen Bedingungen kann es keinen funktionierenden Markt geben.

Mein Problem ist: Im Grunde möchte ich stattdessen an Satz 1 glauben: Menschen sollten am besten ihre Angelegenheiten selbst regeln, ohne Staat. Das scheint aber irgendwie nicht zu gehen. Was für ein Elend.

Aber es gibt einen Ausweg aus dem Schlamassel: Wir sollten das „selbst Regeln“ nicht im Sinne von „selbst Regeln über den Markt“ verstehen. Das Schöne ist: Faktisch machen wir solche Problemlösungen jenseits von Markt und Staat jeden Tag. Ich habe zum Beispiel gestern zusammen mit Freund*innen einer hochschwangeren Freundin beim Aufräumen und Putzen nach ihrer Geburtstagsparty geholfen, und zwar, man höre und staune, ganz ohne eine Gegenleistung zu verlangen. In einer reinen Marktgesellschaft wäre ich innerhalb von Wochen ruiniert. Wir tun ständig solche Dinge.

Ich würde jetzt vorschlagen, dass wir unsere Angelegenheiten tatsächlich größtenteils ohne Staat regeln, aber eben auch ohne Markt, damit entgehen wir dem unattraktiven Selbstwiderspruch, einen Markt ohne Staat fordern zu müssen, den es gar nicht geben kann.

Meinetwegen kanns weiter Markt und Staat geben, weil ich auch nicht alle meine Wünsche über meinen Freundeskreis, meine politische Gemeinde und meine Familie erfüllt bekomme. Und jetzt traue ich auch nicht allen Menschen, zum Beispiel habe ich momentan einen Küchenofen in Nordhessen im Auge über eine Kleinanzeige, und die Leute in Nordhessen… Na ja.

Aber es wäre doch nett, wenn die Bedeutung von Markt und Staat in unserem Leben mal auf ein Minimalmaß schrumpfen würde, bei dem man sich auch wohlfühlen kann. Ich jedenfalls fühle mich irgendwie bei dem Gedanken unwohl, dass ich, einfach weil ich Staatsbürger der BRD bin, irgendwelchen Leuten 25420 Euro schulde (Stand: 5.10.2014, Quelle: http://www.steuerzahler.de/Home/1692b637/index.html), die ich nicht mal kenne.

Ich kann außerdem gar nicht auf die Straße gehen, ohne dass ich irgendwie auf dem Markt bin: Auf der einen Seite kommt ein Schuhladen, dann ein Computerladen und dann ein Buchladen, auf der anderen Seite kommt erst ein Weingeschäft, dann ein Outdoorladen und dann ein Fahrradladen. Das nervt irgendwie alles, weil ich dauernd in die Schaufenster starre und mir überlege, ob ich nicht doch mal dieses und das und besonders jenes brauche.

Ich würde gerne mal auf die Straße gehen und da wäre dann zuerst ein Repaircafe, dann eine öffentliche Bibliothek mit integriertem Umsonstcafe, dann ein Kostnix-Laden. Auf der anderen Seite wär ne Volxküche, dann eine Tauschring-Zentrale und dann ein open-space-haus, wo man Teach-Ins, Work-Ins und Relax-ins anbieten kann, wenn man grad nicht mit Gärtnern in dem Allmende-Urban-Gardening-Garten beschäftigt ist.