Deutschland als Führungsmacht – na dann gute Nacht!

Deutschland als Führungsmacht – na dann gute Nacht

Gustav Seibt suhlt sich heute in der SZ in der Teutonistan-Anbiederei von Angelo Bolaffi – Deutschland soll jetzt der erfolgreiche Kompromiss aus allen europäischen Extremen sein. Die Briten seien zu laissez-faire und die Franzosen zu „abstrakt“ (was immer damit gemeint sein soll), die Italiener zu korrupt und vermachtet und überhaupt biete sich ja nur der „konsensuale“ rheinische Kapitalismus als Modell für einen europäischen Sozialstaat an, verlässlich, ja, aber bitte nicht zu teuer.
Also mich hat über den hochgelobten „rheinischen Kapitalismus“ niemand befragt, sonst hätte ich denen schön was erzählt, ein System der Ausbeutung bekommt meine Stimme nicht, aber das gute Stück aus der rhetorischen Trickkiste von Adenauers CDU ist halt auch nie abgestimmt worden. Dass wir Deutschen keinen Generalstreik machen dürfen, ist so ein schönes Element dieses ach so konsensualen, sozialen und freiheitlichen deutschen Kapitalismusmodells, die Franzosen machen von ihrem Recht auf Generalstreik alle Naslang Gebrauch, wenn ihnen die Politik ihrer Regierung nicht passt, zuletzt 2009 gegen Sarkozys Sparpolitik. Aber weil wir ja so frei sind in Deutschland, sind wir halt bloß etwas überrascht, wenn Schröder seine Agenda 2010 durchboxt, und können ja auch bis zur nächsten Wahl dann mangels Generalstreikmöglichkeit nicht wirklich unsere Regierung zur Raison bringen.
Ich weiß nicht, welche Bücher Gustav Seibt so in seinem stillen Kämmerlein liest, aber wenn ich den Begriff Führungsmacht höre, dann muss ich kotzen, und wenn es schon aus mir unerfindlichen Gründen in Europa eine geben muss, dann bitte, bitte eine, in der die Bürger ihrer Regierung jederzeit zur Vernunft bringen können, wie in Frankreich, und nicht die BRD, die sich in ihrer vielgepriesenen Liberalität nicht zu schade ist, oppositionelle Parlamentarier auf einer gerichtlich genehmigten Demonstration in Frankfurt am Main in einem Polizeikessel ihrer Freiheit zu berauben und auch bei Vorzeigen des Parlamentarierausweises nicht aus dem Kessel zu lassen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir Europäer überhaupt keine Führungsmacht brauchen, weil wir in Europa Institutionen wie das europäische Parlament und den europäischen Gerichtshof haben, die schon Entscheidungen für Europa fällen. Die sollen gestärkt werden. Jede Nation dagegen, die sich als „Führungsmacht“ in Stellung bringt, verletzt den europäischen Gedanken und gehört ganz ordentlich zurechtgestutzt. Ich habe langsam den Eindruck, die Deutschen werden wegen ihrer aus allen Nähten platzenden Bankkonten gerade größenwahnsinnig und vergessen ihre gute Kinderstube. Ich habe eine Nachricht für uns: Nur weil einer mehr bezahlt als andere, darf er in einer Demokratie noch lange nicht für alle entscheiden.