Green Mans Burden – Nachhaltigkeit als Ideologie Teil 1

Wie sollen wir unsere Wirtschaftsweise erneuern angesichts des Klimawandels einerseits und boomender Konkurrenznationen wie China, Indien und Brasilien andererseits? Darauf kann man grundsätzlich auf einer Skala zwischen zwei Polen antworten: 1. Postwachstum: Wir beenden die ökonomische Expansion, schrumpfen uns gesund, üben Konsumverzicht und reaktivieren nachhaltige Wirtschaftsformen (Handarbeit, Gartenbau). 2. Wir setzen auf grünen Kapitalismus und grüne Spitzentechnologie (Photovoltaik, Elektroautos, Brennstoffzellen) und vereinbaren damit ökonomisches Wachstum und Umweltschutz.
Dominant in der deutschen Öffentlichkeit ist eindeutig letztere Auffassung. Felix Stefan argumentiert in diesem Sinne in seinem Kommentar zum Buch „Intelligent wachsen“ von Ralf Fücks (Böll-Stiftung), ein Postwachstumsland Deutschland wäre ein Tropfen auf dem heißen Stein, den die expansiven Ökonomien Chinas und anderer Boomstaaten darstellen. Ergo müsse Deutschlands Ökonomie weiter wachsen, nur eben im Bereich umweltfreundlicher Technologien.? Postwachstumstheoretiker_innen argumentieren dagegen, dass selbst scheinbar umweltfreundliche Produkte wie Solarzellen und Hybridautos in der Bilanz mehr ökologischen Schaden als Umweltschutz bewirken. Für sie ist ökonomisches Wachstum zwangsläufig mit Umweltzerstörung verbunden.
Es wäre sicher schön, wenn die deutsche und die chinesische Industrie in einen Wettkampf darum eintreten, eine Solarzelle zu produzieren, für deren Herstellung wesentlich weniger Energie benötigt wird als bisher. Und sicher ist die romantische Version der Postwachstumsgesellschaft, in der ich mich mit meinen handgezogenen Möhren auf den zweistündigen Fußmarsch zum nächsten Dorfmarkt mache, nicht gerade eine befreiende Vorstellung.
Allerdings habe ich vor einiger Zeit einen Bericht über ein Projekt in Indien gesehen, in dem Kleinbauern über das Internet, bevor sie ihre Produkte zum Markt bringen, feststellen können, ob jemand ihr Produkt braucht. Das ist gar nicht mal so unpraktisch, wenn man zwei Stunden mit dem Fahrrad zum Markt fährt. Ein weiteres Beispiel aus Bolivien: Ein Parabolspiegel-Herd, auf dem man mit Sonnenlicht kochen kann.

http://independence.wirsol.de/wp-content/gallery/bolivien-foto-story-la-paz/dsc00422_solar_cooker-detail.jpg

Oder das hier: Eine Kleinanlage, mit der in China Biogas aus Dung für Gaskocher, Boiler und Gaslampe verwertet wird.

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Quelle: https://agrarheute.landlive.de/boards/thread/16347/page/1/

Wenn man jetzt noch den Internetrechner in Indien mit Solarzellenstrom betreibt, hat man ein schönes Beispiel, das zeigt, dass der Gegensatz „Postwachstum“-„Grüne Spitzentechnologie“ ein Pseudogegensatz ist. Niemand will in die Ökonomie der Vergangenheit zurück, selbst die konsequentesten Technik-Asketen wollen deshalb nicht das Rechtsverhältnis der Feudalherrschaft zurück.

Es ist aber schon interessant, dass die Vertreter der Hybridauto-Nachhaltigkeit gegen Postwachstumspläne so massiv Front machen: Anscheinend haben sie irgendwie Angst. Vor allem haben sie scheinbar Angst, dass Indien und China Deutschland wirtschaftlich hinter sich lassen und dabei noch massiv die Atmosphäre verpesten, wenn Deutschland nicht mit gutem Beispiel vorangeht und zeigt, wie man ökonomisch Gewinn macht und trotzdem den Planeten nicht zerstört. Das sind ja gleich zwei Gedanken auf einmal: Ein missionarischer („Wir müssen der Welt den überlebenswichtigen Umweltschutz beibringen“) und ein egoistischer („wir wollen die Reichsten von allen bleiben“). Das erinnert mich fatal an irgendetwas, was war es gleich, ah ja: Das Programm des Imperialismus. Rudyard Kipling, der Verfasser des Dschungelbuchs, hat den Begriff des „White Mans Burden“ verbreitet: Demnach sei es die schwere Last des „weißen Mannes“, mit dem Imperialismus die bessere „weiße“ Kultur (das hieß insbesondere die christliche Religion) über den Erdball verbreiten zu müssen, auch wenn er dafür leider unheimlich viele Afrikaner_innen ermorden muss. Dass es für den anglo-amerikanischen Imperialismus treibende Profitinteressen wie den Bedarf an Rohstoffen und Absatzmärkten für die boomende heimische Industrie gab, hat Kipling nicht so interessiert.
Ich frage mich, ob nicht Chinesen und Inder und Brasilianer auch selbst irgendwie darauf kommen, dass es wirtschaftlich und auch allgemein Sinn macht, die Umwelt nicht zu zerstören, ohne dass ein deutscher Ingenieur ihnen das vormachen muss. In meinen Augen ist dieses Anbeten der deutschen Umwelttechnologie einfach nur Ideologie: Hier sollen mal wieder Kapitalinteressen als Allgemeininteressen getarnt werden. Also mir schmeckt mein Vollkornbrot sicher noch genauso gut, wenn Deutschland auf den 50. Platz der Exportnationen abgerutscht ist. Ich denke, die Inder und Chinesen werden sich, wenn sie ihre Armutsprobleme gelöst haben, verstärkt an den Schutz der Umwelt machen. Sicher gibt es auch in China und Indien massive Kapitalinteressen, die zu Umweltzerstörung führen, und das kann und muss man genauso kritisieren wie Chinas Verletzung von Grundrechten und die dort herrschende Unterdrückung. Aber diese Kritik in Form eines Wirtschaftswettkampfes zu üben ist falsch: Woher sollen denn die Arbeiter_innen in einem chinesischen Autowerk wissen, dass es manchmal einen Zusammenhang zwischen Spitzentechnologie, funktionierender Demokratie und Sozialstaat gibt? Der importierte BMW wird es ihnen schwerlich verraten, vor allem dann nicht, wenn er von einem Parteifunktionär gefahren wird, der gleichzeitig auch noch Besitzer der Autofabrik ist, in der die Arbeiter_innen für kleinen Lohn schuften müssen.
Hoffentlich können die aufholenden Nationen erneute Katastrophen wie DDT, Tschernobyl und Bhopal sowie den Wahn, dass Autobahnen Freiheit bedeuten, vermeiden, aber dazu reicht es vielleicht, wenn wir unsere Erfahrungen weitererzählen, und wir müssen dafür jetzt nicht unbedingt eine bessere Solarzelle bauen. ?Letztendlich haben die Vertreter der grünen Technologie auch nur Angst, dass Volkswagen irgendwann nicht mehr so viele Autos verkauft und die Gewinne schrumpfen und Leute entlassen werden, die dann NPD wählen. Und das ist ja auch eine reale Gefahr, weshalb VW jetzt schleunigst das weltbeste Solarauto entwickeln sollte. ?Aber es wäre doch sehr entspannend, wenn wir uns hier in Deutschland klarmachen, dass es dann eben für die nächsten zwanzig Jahre bei dem Solarauto bleibt, das wir 2020 gekauft haben, und dass wir uns nicht den Arsch abarbeiten müssen, um 2022 ein noch sparsameres kaufen zu können. Das setzt natürlich voraus, dass die Firmen Solarautos bauen, die auch zwanzig Jahre halten, was wieder nicht so richtig kapitalkonform ist, weil man dann eben nur einmal in zwanzig Jahren Profit mit dem Solarauto machen kann, und nicht 10 mal.

Das führt mich jetzt zu folgender Überlegung: Es gab in der Anfangszeit der Grünen mal eine grüne Kapitalismuskritik. Knapp zusammengefasst war die Argumentation in den 80ern ungefähr folgende: Der Kapitalismus zerstöre aufgrund seiner Struktur die Umwelt, weil immer größere Profite nur durch steigende Ausbeutung natürlicher Ressourcen und zunehmende Emissionen erzielt werden könnten. Das zielgerichtet eingebaute Verfallsdatum in vielen Produkten ist dafür der beste Beleg.
Ich fahre jetzt demnächst das erste Mal mit einem Elektro-Auto, das mein Carsharing-Anbieter, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, angeschafft hat. Vielleicht schreibe ich danach weniger kritisch über grünen Kapitalismus und grüne Spitzentechnologie. Der Wagen ist übrigens ein Renault Zoe und komischerweise kein VW – also entweder ist die deutsche Industrie gar nicht so weltweit spitzen-öko, wie die Leute immer sagen, oder die Leute bei der Deutschen Bahn sind einfach keine Patrioten, sondern kapitalistische Kosmopoliten und haben unverschämterweise trotz deutscher Alternativen bei den Franzosen gekauft – oder beides. Par Bleu.