Liebe unprofitabel

Allen, die sich manchmal fragen, warum das eigentlich so unglaublich schwierig ist, in einer Beziehung das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Bindung zu halten, sei hier die Lektüre von Eva Illouz und Judith Butler empfohlen. Mit der Kombination der Bücher „Warum Liebe weh tut“ und „Psyche der Macht“ kann mensch sich das nämlich erklären.

Meine Erklärung geht so: Der Kapitalismus hat einen zentralen Widerspruch immer weiter verstärkt, der sich besonders auf Liebesbeziehungen auswirkt: Denn einerseits werden im Kapitalismus Leute gebraucht, die möglichst frei und ungebunden sind, damit man sie als global agierendes, ständig die neuesten Entwicklungen mitgestaltendes Management überall schnell einsetzen kann: Keine Bindungen, Kinder, Ehepartner, die die Flexibilität der Arbeitenden beeinträchtigen. Gerade weil sich alles so schnell wandelt, braucht man Leute, die sich schnell anpassen, keine Klötze am Bein haben und übermorgen in der Filiale in New York das Marketing auf die neuesten Trends umstellen. Dasselbe gilt auch für alle Menschen, die gezwungen sind, ein prekäres Dasein zwischen Minijobs und Scheinselbständigkeit zu führen, bloß ist es da noch schlimmer.

Diesem Zerrbild der Freiheit steht ein zweiter funktioneller Bedarf des Kapitalismus gegenüber: Marx hat das die Reprodukion der Arbeitskraft genannt. Das bedeutet unter anderem: Die Leute müssen auch irgendwie arbeitsfähig bleiben, körperlich und psychisch klarkommen, brauchen Zuneigung und einen privaten Beziehungsraum, der die Zwänge und Härten der Arbeitswelt kompensieren hilft. Und: der Kapitalismus braucht Kinder. Ohne Kinder gibt es keine Arbeitskräfte, insbesondere die Eliten sollen sich ja, wie wir seit Thilo Sarrazin wissen, in Deutschland endlich mal ordentlich fortpflanzen, weil dieses Land ja sonst bald bloß noch aus faulen und dummen Leuten besteht.

Das Problem an der ganzen Sache ist nun: Das sind zwei Erwartungen, die der Kapitalismus an uns stellt, die ganz und gar nicht zusammenpassen: Kinder bedeuten Bindung, Kinder brauchen Verlässlichkeit, Freunde, ein vertrautes Umfeld und stabile Beziehungen. Wenn wir gleichzeitig aber total flexibel sein sollen und morgen in Köln und übermorgen in Frankfurt arbeiten sollen, dann wird das schwierig. Und wenn zwei Partner*innen beide befristete Jobs haben, die eine aber in Köln und der andere in Berlin ist, dann sind vielleicht beide recht autonom, aber es wird schwierig, ein Beziehungsleben zu organisieren, das Kraft für die Anforderungen der Arbeitswelt gibt.

Ich hab deshalb großen Respekt vor allen Leuten, die unter diesen Umständen glückliche und stabile Liebesbeziehungen aufbauen. Denn eins ist klar: Entweder wir sind frei, uns in jede gewünschte Richtung zu entwickeln, oder wir sind in festen Bindungen, die unseren Identitätswandel bremsen und unsere Optionen begrenzen. Beides zugleich überfordert. Familien, die das beides können, sind oft kleine Roboterfabriken, in denen kein Leben stattfindet, das nicht diktiert ist von äußeren Anpassungszwängen.

Das ist doch aber ganz schön, jetzt zu wissen, dass diese Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Bindung und dem Wunsch nach Freiheit nicht mein persönliches Problem ist, sondern ein Problem der Gesellschaftsordnung, in der ich lebe. Ich weigere mich, die dauernden Krisen dieser Verwertungslogik, die sich in ihren eigenen Widersprüchen verheddert, als meine eigene Schuld und mein persönliches, subjektives, inneres Problem zu sehen. Ich kenne so viele Leute aus der akademischen Mittelklasse, die um ihre Liebesbeziehungen kämpfen müssen, dass ich an dieser Stelle und ganz zum Schluss Herrn Sarrazin gerne sagen möchte: Schaffen Sie den Kapitalismus ab oder reformieren Sie ihn vernünftig, dann kriegen wir so viele Kinder, dass Sie sich umgucken werden. Allerdings muss ich gleich dazu sagen, dass es diesen Kindern dann ziemlich Banane vorkommen wird, wenn Herr Sarrazin wieder mit seinem Protorassismus um die Ecke kommt, weil diese Kinder dann frei und gleich mit anderen Kindern aller möglichen Länder zusammen leben werden. Denn ohne kapitalistischen Konkurrenzdruck wirds dann auch keinen Hass zwischen irgendwelchen konstruierten Gruppen geben, und die Leute werden sich fragen, warum die Leute früher eigentlich so ein Wort wie „Deutscher“ wichtiger fanden als so ein Wort wie „Cineast*in“.