Der Kapitalismus, Resonanz und Kaffee wie in einer italienischen Bar

Ich frage mich schon länger, wieso ich, obwohl mir ziemlich klar ist, dass im Kapitalismus kein wirklich gutes Leben möglich ist, trotzdem noch in dieser Gesellschaftsordnung mitmache, brav konsumiere, arbeite und Steuern zahle und mich zusätzlich noch sozialreformerisch betätige, um das System zu verbessern, statt auf Revolution zu setzen und mich zu verweigern.

Jetzt habe ich mir zum Beispiel, statt nach Frankfurt zu Blockupy zu fahren, eine sehr teure gebrauchte High-End-Siebträger-Espressomaschine gekauft, so eine verchromte, von der es heißt, sie ermögliche „Kaffee wie in einer italienischen Bar“. Man kann also sagen, ich war im letzten Monat ein Deserteur der Revolution.

Ich bin tatsächlich halb unglücklich und halb erleichtert, dass ich nicht zu Blockupy gefahren bin, weil Gewalt echt nicht mein Ding ist, auch nicht gegen Sachen. Ich habe zum Beispiel mal bei einer Anti-Nazi-Demo in Gladenbach, wo Mitdemonstrierende im Dorf Mülltonnen auf der Straße umgeschmissen haben, die Mülltonnen wieder aufgestellt und eingeräumt, weil ich das echt bescheuert finde, in seinem Revolten-Furor statt der Nazis (die von der Polizei beschützt wurden) die Mülltonnen der Gladenbacher*innen zu bekämpfen.

Nevermind. Trotz meiner Ablehnung von Gewalt bin ich ein bisschen unglücklich darüber, nicht wenigstens bei der friedlichen Blockupy- Kundgebung auf dem Römer gewesen und Naomi Klein gehört zu haben, die darüber gesprochen hat, wie der Kapitalismus den Planeten zerstört. Und stattdessen diese Espressomaschine gekauft zu haben, für die ich viele Stunden im Internet recherchiert habe.

Dieser Blogeintrag dient jetzt dazu, mein Revolutionspunktekonto wieder ein bisschen aufzuhübschen. Und das soll wie folgt funktionieren: Ich analysiere mein revolutionäres Versagen mit der Kaffeemaschine und helfe den Leser*innen so, nicht in die gleiche Falle zu tapsen. Der Begriff, mit dem ich das machen will, stammt aus dem Buch von Rosa/Dörre/Lessenich: „Soziologie Kapitalismus Kritik.“, das bei Suhrkamp erschienen ist, und heißt „Resonanz“. Resonanz zu erfahren heißt: Wir haben das Gefühl, dass die Welt und unsere Mitmenschen auf unsere Wünsche, Gefühle, Handlungen und Äußerungen so antworten, dass wir uns wahrgenommen, verstanden, akzeptiert und geliebt fühlen und spüren, dass wir etwas bewirken können. Ich kenne niemanden, der sich das nicht wünscht.

Was das jetzt mit meiner neuen gebrauchten Espressomaschine zu tun hat? Folgendes: Ich bin dem Kapitalismus voll auf den Leim gegangen, der nämlich systematisch die Illusion von Resonanz erzeugt. Ich habe mir eigentlich gewünscht, von meinen Mitmenschen als jemand wahrgenommen zu werden, der irgendwie Kreativität, Unabhängigkeit, Lebensgenuss und Hipness mit Tradition, Nachhaltigkeit und einem gewissen edlen Konservatismus vereint. Voila: Genau das leistet meine neue Espressomaschine Italian Style. Deshalb musste sie auch verchromt sein und nicht Edelstahl gebürstet wie die, die meine besten Freunde haben. So. Jetzt kriege ich die und habe das Gefühl, dass a) der Kapitalismus auf meine Wünsche und Bedürfnisse mit deren Befriedigung antwortet und b) ich meine Mitmenschen durch ein Objekt, das als Symbol funktioniert, dazu bringen kann, mich so wahrzunehmen, wie ich gerne wahrgenommen werden will. Resonanz. Oder so was ähnliches. Denn in Wirklichkeit ändert sich mein Leben natürlich nicht wirklich, nur weil mein Espresso besser schmeckt und aus einer schickeren Maschine kommt. Mein Leben ändert sich, wenn ich öfter Freund*innen zum Kaffeetrinken einlade und wir uns erzählen, was für uns das gute Leben wäre. Darauf antwortet der Kapitalismus aber nun überhaupt nicht, weil meine Freund*innen zum Teil drei Jobs gleichzeitig haben und deshalb selten Zeit, bei einem guten Kaffee über ihre Lebensträume zu reden. Und ich auch oft plötzlich an meine Aufgaben in der Schule denken muss und mich deshalb nicht so richtig im Gespräch entspannen kann. Schön reingefallen, denn daran ändert die neue Espressomaschine nun wirklich nichts.

Also: Wenn Du mal überlegst, ob Du Deine Zeit für eine Kundgebung auf dem Frankfurter Römer oder zum Arbeiten und Konsumieren verwendest, rate ich Dir, Dich zu fragen, welche Art von Resonanz Du Dir wünschst, und wo Du die her bekommst.