Wie man eine Metapher als Walze gebraucht

Wolfram Fleischhauer hat einen Roman geschrieben, der ein literaturtheoretisches Statement verkündet: Er wirft Paul de Mans Literaturtheorie vor, relativistisch zu sein und so ethische Kritik an den Naziverbrechen unmöglich zu machen. Der erzählerische Hebel ist so einfach wie effektiv: Der Literaturkritiker De Vander, gemeint ist eben Paul de Man, schreibt antisemitische Artikel im von Nazis besetzten Belgien und wird nach dem Krieg Literaturwissenschaftler in den USA. In dieser Funktion behauptet De Vander, es gebe keinen Kontext (der dem Text seinen festen Sinn verleihen könnte), und es gebe keinen Autor (den man für den Text verantwortlich machen könnte). De Vander erzeugt so eine Theorie, die seine Mitschuld an den Verbrechen der Nazis wegerklärt. Für mich barg der Roman Fleischhauers eine erhellende Neuigkeit: Dass De Man eine antisemitische Vergangenheit hatte, wusste ich nicht. Insofern danke ich dem Autor für diese wichtige Reflexion der historisch-biographischen Hintergründe von De Mans Literaturtheorie und der postmodernen Theoriediskussion.

Fleischhauer erstickt leider auf Seite 344 seines Romans jeden Funken differenzierender, erhellender Deutung von Sprache und Geschichte und diskreditiert seine romanförmige Kritik an de Mans Literaturtheorie, wenn er über Adornos Satz „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“ seinen Protagonisten, einen deutschen Studierenden, im Roman eine der wenigen positiven Identifikationsfiguren, denken lässt: „Ich wollte ihr noch sagen, dass ich diesen Satz über Auschwitz und die Gedichte immer gehasst hatte. Denn bei allem Verständnis für den, der ihn gesagt hat: War dieser Satz nicht auch ein Gasofen? Für den letzten Funken Hoffnung in die Sprache?“1

Adorno hatte mit seiner Aussage Unrecht, das haben Celan, Domin und andere seitdem tausendfach bewiesen. Aber was Fleischhauer hier über diese Aussage veröffentlicht, ist eine üble, dumme und katastrophale Metapher. Worin zum Teufel ähnelt der Satz Adornos der Ermordung von Millionen unschuldiger Menschen? Was für ein alle Differenzierungen einebnender, stumpfsinniger und von abgestorbenem moralischen Empfinden zeugender Vergleich!

Ich schrieb Fleischhauer per Mail Folgendes:

„Zuerst habe ich gedacht, diese Metapher ist genau das, was Adorno als gewalttätige, weil alle Unterschiede einebnende Metapher bezeichnet hätte. Dann habe ich mir die Sache nochmal durch den Kopf gehen lassen und überlegt, ob ich nicht mit dieser Deutung selbst alle Unterschiede einebne (in diesem Fall Gaskammer mit Gasofen gleichsetzend).

Ich denke, die Gewalt, die mich beim Lesen Ihres Satzes erschüttert hat, liegt nicht allein in dem Wort „Gasofen“, sondern in dem unscheinbaren Wörtchen „auch“. Denn dieses Wörtchen stellt einen Kontext her („Mord durch Gas“), der Adorno zum Täter gleich all den SS-KZ-Aufsehern stempelt.“

Darauf antwortete mir Fleischhauer:

„Es handelt sich bei dem Satz der Romanfigur um eine bewusste und entschiedene Zurückweisung einer Aussage, die totalitär und menschenverachtend ist. Adornos Diktum vollendet in letzter Konsequenz das, wogegen es gerichtet ist: Sogar der Urschrei nach Sinn (denn was sonst ist Dichtung?) soll der geschundenen Kreatur noch genommen werden, weil dieser Urschrei das absolut Böse und Sinnlose nicht bannen konnte und natürlich leider auch nicht bannen kann. … Adornos Satz zwingt völlig unvereinbare Dinge in einen unerträglichen Schuld-Zusammenhang.“

Wer Dichtung als „Urschrei“ versteht, der produziert folgerichtigerweise Metaphern wie Fleischhauers „Gasofen“.

Bertolt Brecht schreibt in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“:

„Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Das ist sicher feiner und sensibler formuliert, als Adornos Satz über Dichtung. Aber beide Texte zeugen von demselben Schmerz: Dem Schmerz, den diese beiden Gegner der Nazis empfanden, denen die Verbrechen der Nazis das zu rauben drohten, was ihnen wie kaum etwas sonst am Herzen lag: die Sprache. Beide haben ihr Leben lang gekämpft, um die Sprache zurückzugewinnen.

Adorno hat das nicht getan, damit ein Urschrei-Schriftsteller wie Fleischhauer das wieder einebnet, was Adorno und viele Andere an sprachlichen Nuancen mühsam zurückerobert haben, nachdem die Nazis alles, auch die Sprache, zu enthumanisieren versuchten.

Ich stimme Fleischhauer zu, dass eine Dichtung, die ein „Urschrei nach Sinn“ ist, tatsächlich das Böse und Sinnlose nicht bannen kann. Zum Glück ist nicht alle Dichtung Urschrei-Dichtung. Hilde Domin schreibt:

Wen es trifft
der wird aufgehoben
wie von einem riesigen Kran
und abgesetzt
wo nichts mehr gilt,
wo keine Straße
von Gestern nach Morgen führt
Die Knöpfe, der Schmuck und die Farbe
werden wie mit Besen
von seinen Kleidern gekehrt.
Dann wird er entblößt
und ausgestellt
Feindliche Hände
betasten die Hüften
Er wird unter Druck
in Tränen gekocht
bis das Fleisch
auf den Knochen weich wird…
 
Aus: Domin, Hilde: Abel steh auf. Stuttgart: Reclam 1990. S. 14f.
 

Dieses Gedicht lesen heißt, ein wenig verstehen zu lernen, wie es war. Wie Gedichte uns die Sprache in unserer Sprachlosigkeit über die Shoa zurückgeben können, drückt für mich dieses Gedicht Hilde Domins aus:

Nicht müde werden
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten
 
Aus: Domin, Hilde: Abel steh auf. Stuttgart: Reclam 1990. S. 36.
 

Das hat mit einem Urschrei wenig gemein. Anstatt wie Fleischhauer alle Nuancen platt zu walzen, ist es unsere Aufgabe, mit Sorgfalt, leise und vorsichtig das Wunder der Sprache wiederzugewinnen, die die Nazis uns verschlagen haben.

1Fleischhauer, Wolfram: Der gestohlene Abend. Piper: München/Zürich 2008,  S. 344.

11 500 000 000 000

Geschätzte 11,5 Billionen US-Dollar an privatem Vermögen waren im Jahr 2008 in Steueroasen allen Steuersystemen der Welt entzogen.

Diese Summe ist größer als die Summe der gesamten Staatsschulden der USA und Griechenlands zusammen. (Stand: 2010).

Quellen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsverschuldung#Staatsverschuldung_im_internationalen_Vergleich

„Let’s make money.“ Dokumentarfilm von Erwin Wagenbach (allegrofilm 2008).

Come on, Commonard_innen! Mehr davon!

Kommentar zu „DIE COMMONARDEN.* TEILEN UND GEWINNEN. KANN MAN DIE RETTUNG DER WELT WIRKLICH ALS PRIVATSACHE BETRACHTEN?“ VON TILL BRIEGLEB, SÜDDEUTSCHE, FEUILLETON Nr. 191, S.13

Ich bekenne, dass ich in einer Food-Coop bin. Ich bekenne, dass ich Mitglied eines Mietshaussyndikats werden will. Ich bekenne, dass ich nicht in einer Partei bin und nicht im Stadtrat. Mein Engagement gegen Ausbeutung und Armut beschränkt sich tatsächlich darauf, Kaffee aus Kooperativen in Südamerika in meiner Coop zu kaufen. Und mein Engagement gegen entfesselten Finanzkapitalismus darauf, mein Konto bei der Stadtsparkasse zu führen und nicht bei der Deutschen Bank.

Es ist wirklich nett von Herrn Briegleb, mein Engagement als „begrüßenswert“ zu würdigen. Leider habe ich mich entgegen seiner Warnung in den Glauben verirrt, dass ich damit etwas anderes tue als der „pluralistische Angebotskapitalismus“. Nachdem Versuche, den Kapitalismus durch Enteignung der Produktionsmittel angebotsseitig zu Fall zu bringen, eher mäßig gelungen sind (nähere Informationen unter www.gauck-behoerde.de), fand ich die Idee einer zentralistisch geplanten Revolution wenig überzeugend. Ich engagiere mich deshalb lieber im pluralistischen Nachfragesozialismus. Darauf blickt Herr Briegleb jetzt väterlich herab und „begrüßt“ von der hohen Warte des SZ-Feuilletonisten herab unsere Aktivitäten als gut gemeint, aber doch unkoordiniert und daher eher wirkungslos.

Ich begrüße meinerseits Herrn Briegleb im Verein der Kapitalismuskritiker ohne klares Ziel, denn aus seinem Artikel geht zwar hervor, dass er wohl den Kapitalismus in seiner jetzigen Form für gefährlich hält, aber nicht, wie die Alternative aussehen soll. Ich soll mich wohl in unserem demokratischen Staat engagieren, statt in St. Pauli Zucchini zu ziehen. Das schließt sich aber zum einen nicht aus. Zum anderen gilt der Satz unserer amerikanischen Freunde: „It’s the economy, stupid!“ heute mit einer ganz leicht verschobenen Bedeutung: Es gibt ohne ökonomische Alternativen keinen politischen Weg aus dem Schlamassel. Die sozialen und ökologischen Probleme, die unser Leben bedrohen, können in einer globalisierten Ökonomie durch die Macht im Staat allein nicht gelöst werden. Commons sind Versuche, diese Probleme durch neue Verbindungen von ökonomischen und politischen Aktivitäten zu lösen. Dies sind notwendige Experimente. Vieles davon wird besser funktionieren als die aktuelle politische Ökonomie, die Steuerreformen zugunsten der Wohlhabenden aneinanderreiht, während sie alleinerziehenden Müttern entwürdigend wenig Sozialhilfe für die Versorgung ihrer Kinder gibt.

Das zweite Gesicht des Kapitalismus

Ein Kommentar zu dem Artikel „Wer gibt uns einen Feind mit Gesicht?“ von Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung vom 27./28.8.2011

Ich habe ein Problem: Ich habe Angst vor den Auswirkungen der Finanzkrise. Das ist besonders deshalb bemerkenswert, weil ich als Beamter in Deutschland arbeite und damit die materiell und institutionell abgesichertste Position einnehme, die es weltweit überhaupt gibt. Die Finanzkrise könnte mir persönlich also im Unterschied zu den gleich gut Qualifizierten meiner Generation in Spanien, Portugal und Italien egal sein. Sie ist es aber nicht.

Das ist auch kein Wunder, denn seit Jahren lese ich in der Süddeutschen in schöner Regelmäßigkeit davon, dass wir in einer permanenten Krise leben, da unser Wirtschaftssystem instabil sei. Als historisch gebildeter Mensch erinnere ich mich an die Bilder von jungen Männern, die ein Schild um den Hals tragen, auf dem steht: „Nehme jede Arbeit an“, und daran, dass kurz danach die Nazis die Wahlen gewannen. Als politisch informierter Mensch kenne ich die Ausmaße der Staatsverschuldung meines Landes und der Nachbarländer und ich erinnere mich noch an die letzten Krisen: Das Platzen der Dot-Com-Blase, die Argentinien- und die Asienkrise. Ich beobachte, wie unter Verweis auf durch Wirtschaftskrisen verursachte politische Sachzwänge die Sozialtransferleistungen gekürzt werden. Ich beobachte den Verkauf von staatlicher Infrastruktur an die Privatwirtschaft, zum Beispiel im Bereich der Post, der Telekommunikation, der Wasserversorgung und der Gesundheitsversorgung. Ich beobachte, wie mit den so flüssig gemachten Steuergeldern bankrotte Banken gekauft werden, weil sie als systemrelevant eingestuft werden.

Ich frage mich, was für ein System das ist, für das Banken wie die HypoRealEstate „relevant“ sind: Banken, die mit gebündelten Hypothekenkrediten handeln, die auf völlig illusorischen Wertprognosen beruhen und deshalb in sich zusammenfallen.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es ein System ist, zu dessen Grundstruktur permanente Krisen gehören. Ich kann mich außerdem des Eindrucks nicht erwehren, dass aus jeder systemisch produzierten Krise die meisten großen Akteure als Gewinner und die meisten kleinen Akteure als Verlierer hervorgehen. Und trotzdem glaube ich nicht, dass die großen Akteure das System so programmieren. Insofern ist tatsächlich die Suche nach einem Feind mit Gesicht ein Fehler.

Thomas Steinfeld irrt übrigens, wenn er behauptet: „Der Wirtschaft steht die Aufklärung noch bevor.“ Richtig ist: Die Anhänger der neoliberalen Doktrin haben sich bisher als ausgesprochen resistent gegen die Aufklärung über ökonomische Verhältnisse erwiesen. Der Glaube an die Selbstregulierung der Märkte ist in weiten Teilen der politischen Kaste trotz aller gegenläufigen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ungebrochen. Und tatsächlich haben diese Leute Recht: Natürlich regulieren sich die Märkte selbst. Ganz regelmäßig sind die großen privaten Vermögen die Gewinner und die Allgemeinheit ist die Verliererin. Jeder Marktteilnehmer hält sich an die Regel, dass in Konkurrenz zu den anderen möglichst viel Gewinn gemacht werden muss. Dadurch werden die Reichen im Verhältnis zu den Armen immer reicher. Das Marktgeschehen ist also, von einer höheren Warte aus betrachtet, tatsächlich sehr reguliert. Nur eben falsch reguliert.

Ich denke, dass die Demokratie langfristig nur bestehen kann, wenn sie dem ökonomischen System Regeln gibt, die das Allgemeinwohl herstellen und erhalten. Im Falle des Finanzsystems sind die demokratischen Staaten der Welt ein solches Regelwerk bisher schuldig geblieben, vor allem wegen des Egoismus und der widersprüchlichen Interessen reicher Nationen wie der BRD und der USA. Es wird Zeit, dass sich das ändert.