Du, ich und unser Leben jenseits des Tauschprinzips

Adornos wortmächtige Kritik am Äquivalenzprinzip geleitet in diesem Sinn mein Beziehungsleben immer: Dass es nicht sein  soll, soziale Beziehungen nach dem Schema eines Tausches zu entstellen, hat viele Gespräche und Interaktionen gerettet, in denen ich sonst der Kälte des kapitalistischen Konventionalismus erlegen wäre.

Jetzt ist mir etwas klar geworden: Nämlich,  dass die Idee, man müsse jedes Geschenk eines Mitmenschen mit etwas gleichwertigen vergelten, wie eben in einem Tauschgeschäft, schon deshalb nicht zu verwirklichen ist, weil das Leben so vielfältig ist und auf so vielen Ebenen und in einem so reichen Spektrum sich abspielt, dass ein kognitiv begrenztes Wesen wie ich es gar nicht leisten könnte, zu berechnen, wann ich etwa ein gutes Gespräch mit einem Freund mit etwas Gleichwertigem wie einem Buchgeschenk für ihn ersetzt hätte. Damit zwei Menschen wirklich eine äquivalente Beziehung nach dem Tauschprinzip organisieren könnten, müssten sie eine gigantische Kalkulationsaufgabe bewältigen: Wie um alles in der Welt sollte ich Wechselkurse zwischen der Zärtlichkeit und dem Geistigen, der Solidarität und der praktischen Lebenshilfe und all den anderen Aspekten der Beziehung berechnen?

Ein gutes Argument gegen ein Leben gemäß des Tauschprinzips ist also unsere kognitive Beschränktheit, deren Reflexion uns zeigt, dass das falsche Ideal des Äquivalenzprinzip von endlichen, unvollkommenen Wesen wie uns Menschen einfach nicht zu verwirklichen ist (ganz abgesehen davon, dass es auch böse wäre, das zu versuchen).

Das heißt nicht, dass wir nicht versuchen sollten, Gerechtigkeit in unseren Beziehungen anzustreben, gerade in distanzierteren Beziehungen mit Menschen, die ich nicht gut kenne, sind die Ebenen weniger und die Berechnung weniger komplex und Gerechtigkeit kann dort teilweise die Form von gerechtem Tausch annehmen. Je näher, intimer und langlebiger eine Freundschaft oder Liebesbeziehung aber wird, desto weniger können und sollen wir sie meiner Meinung nach an Tauschprinzipien orientieren.

Sinnieren über Kate Bushs: „Oh England, my Lionheart“

Einer meiner Lieblingssongs unter denen, die ich in den letzten Jahren durch Tipps von Freund*innen entdeckt habe, ist Kate Bushs poetische Hommage an – ja an was? An ihr Heimatland, bin ich versucht zu sagen, hätte „Heimat“ nicht seit vielen Jahrzehnten einen kontaminierten Klang in der deutschen Sprache.

Eine Strophe aus dem Song lautet:

„You read me Shakespear on the rolling Thames

That Old River Poet that never, ever ends

Our Thumping Hearts hold the Ravens in

And keep the tower from tumbling“

Vor langen Jahren hatte ich ein Streitgespräch mit meinem alten Freund Christian, der entgegen meiner linken Sicht Patriotismus gegen Nationalismus abgrenzte und letzteren ablehnte, während er patriotische Haltungen verteidigt hat. Damals fühlte ich mich unwohl, weil ich ihm nicht zustimmen wollte, aber auch nicht ablehnen konnte, was er sagte.

Heute, während ich Kate Bushs poetische Huldigung an England höre, denke ich: Was würde ich darum geben, ein Lied an Deutschland schreiben zu können, in dem ich dem Land, in dem ich lebe, geboren bin und dem ich mich verbunden fühle, so eine Zuneigung ausdrücken könnte.

Ich würde darin zum Beispiel, wie Kate Bush hier ihrem Land für Shakespears Poesie dankt, Deutschland danken würde für Goethe und sein donnerndes „Sie ist gerettet.“, das aus der Kulisse für das Gretchen im Faust erschallt, und für seinen „Geist, der stets verneint, und das mit recht, denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde geht.“ Es wäre ein Lied, in dem ich singen könnte:

„Und uns geht eines immer vor:

Unsere Skepsis soll genügen

zu schützen das Brandenburger Tor

vor jeglichen  weiteren Fackelzügen“

Aber das Brandenburger Tor ist als Symbol übel behaftet und wird von „Identitären“ besetzt, die einen Haken als Symbol benutzen und ich kann nicht von Herzen ein Lied singen, das mich vielleicht wider Willen in ihren Chor eingemeindet.

Ach, Deutschland, wie traurig ist es, in Deinen Mauern zu leben, und zu wissen, was sie über lange Zeit schützten: Sie schützten zu viel Hass, um sie zu mögen, und zu viel Liebe, um sie zu verabscheuen. Verwirrt über der Frage, ob ich jetzt Patriot bin: Arne Erdmann.

Ein Europa der stärkeren Solidarität

Eine Gute Nachricht: Vertreter*innen von SPD, Grünen und der Linken stricken einen linksliberalen Plan, wie in der EU die von der Krise der Ökonomie besonders hart getroffenen Staaten solidarisch von den anderen getragen werden können: Europäische öffentliche Anleihen und ein Sozialfond dürften dafür vorgesehen sein. Endlich ein wenig Hoffnung für die Zukunft der EU – und damit für uns.

Die deutsche Sprache fegen #2

Ich spreche oft über meinen Körper in dieser Weise: „Mein Bein tut mir weh.“ oder „Mein Rücken schmerzt.“ Wenn ich so rede, konzipiere ich mich als Menschen als zwiegespaltenes Wesen: Ich bestehe dieser Redeform nach aus Bewusstsein (oder, um ein anderes Wort zu verwenden, dass einen ähnlichen Bedeutungsgehalt hat: Geist), und mein Körper ist diesem Bewusstsein ein Eigentum, wie ein Gegenstand Eigentum einer Person ist. Daher kommt auch die Empörung, die ich manchmal über mein schmerzendes Bein empfinde, weil sich dieses Bein doch einfach nicht gut anfühlen will, obwohl es doch mein Eigentum zu sein scheint.

Stattdessen sage ich auch manchmal: „Ich habe Schmerzen im Bein.“ Das ist schon etwas besser, da wenigstens das Bein nicht als mehr Eigentum des Bewusstseins dargestellt wird, sondern nur noch die Beinschmerzen. Das ist sicher aber auch nicht perfekt.

Aber es ist schwer, im Alltag eine monistische Sprechweise zu verwenden, also eine Sprechweise, die zu zeigen versucht, dass Körper und Geist eins sind, weil der Dualismus von Körper und Geist in vielen gewohnten Formulierungen mitschwingt.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Ich habe einen alten Bucheintrag von mir aus dem Jahr 2013 wieder gelesen. Dort habe ich Gedanken gesammelt, wie sich die Gesellschaft durch unser Handeln verändert. Es findet eine Beschleunigung unseres Lebens statt, wir erleben Globalisierung und Technologisierung. Letztere ist neben der Ursache für Beschleunigung auch die Ursache für mehr freie Zeit.

Aber freie Zeit hat keine Vorteile, wenn meine Verstrickungen in Beziehungen und meine Vielfalt an Optionen mein leben immer weiter beschleunigen, bis ich das Ziel meines Lebens aus dem Blick verliere.

Vielleicht werde ich trotzdem lernen, die freie Zeit dazu zu nutzen, mich aus den Zwängen zu befreien.

 

Heute fühle ich mich schwer

Ich bin heute beladen und mein Leben ist mühevoll. Aber in der Bibel steht: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.“ Das glaube ich.

die deutsche Sprache fegen, No. 1

Robert Brandom, der Autor von „Making it explicit“, in dem er eine  philosophische Grundlegung der Wissenschaftstheorie entwirft, schreibt vom „grooming of our concepts“, dem „Fegen unserer Begriffe“. Damit meint er zum Beispiel, dass wir Widersprüche, die wir und unsere Sprache mit unseren Aussagen erzeugen, mit der Zeit aus unserer Sprachpraxis entfernen.

Ich habe noch vor einigen Jahren gedacht, dass das eine Sache der Universität und der Wissenschaft ist, aber ich glaube, im sonstigen sozialen Leben ist das auch wichtig.

Jetzt fange ich in diesem Beitrag damit an, Widersprüche oder Uneindeutiges zu fegen.

Als Kinder haben wir oft zwei Worte benutzt, wenn wir  sagen wollten, dass etwas in unseren Besitz übergegangen ist: „bekommen“ und „kriegen“. In einer Situation, in der jemand uns etwas schenken würde, ist es nach meiner Theorie der Konnotationen und der verschiedenen Sprachebenen, nicht gut „Krieg ich das?“ zu sagen, weil „kriegen“ die Assoziation „Krieg“ erzeugt, also eine gewaltsame Aneignung gegen den Willen der Anderen, die vorher im Besitz von etwas (Territorien, Gold, und Freiheit) war.

Stolz und Selbstwertgefühl

Axel Honneth beschreibt „Selbstwertgefühl“ als das „Selbstverhältnis“, das aus der Erfahrung von Solidarität als einer Anerkennungsform von dreien (Liebe und Respekt sind die anderen beiden, ihnen korrespondieren Selbstvertrauen und Selbstachtung) entsteht.

Jetzt frage ich mich, wie das in Beziehung zu der Emotion Stolz steht. Aus meiner Rezeption buddhistischer Philosophie heraus dachte ich jahrelang, „Stolz wurzelt im Ego.“, und dachte also, wenn ich stolz bin, ist das irgendwie schlecht oder sogar böse, eogoistisch eben. Die Buddhisten glauben außerdem, wie Arthur Schopenhauer, dass unser jeweiliges Ego über uns den „Schleier des Nichtwissens“ hängt und wir alle möglichen Täuschungen glauben, wenn wir egoistisch sind.

Gestern wurde mir dann klar, dass Stolz aber außerdem manchmal einfach gefährlich ist. Ich zum Beispiel überschätze mich aus Stolz oft und wundere mich dann, dass ich leide und wütend und traurig werde.

Aber das Wort Stolz kann sowohl als sprachliches Zeichen für die Emotion verwendet, die ich fühle, wenn ich etwas sehr Schwieriges geschafft habe, und mich selbst gut finde, also im Sinne von Selbstwertgefühl, und es kann auch als ein Wort für Selbstachtung gebraucht werden. Sich den Stolz zu verbieten ist deshalb destruktiv. „Stolz“ ist sozusagen ein unentfaltetes Wort, und eingefaltet darin sind Bedeutungsfacetten der zwei Begriffe „Selbstachtung“ und „Selbstwertgefühl“, die Honneth dann ausdifferenziert hat.

Bei Liebe und Selbstvertrauen ist es aber oft anders, ich liebe Menschen oft wegen und auch oft trotz ihres Scheiterns und ihrer Schwächen. Manchmal aber auch, wenn sie stolz sind und sich nichts befehlen lassen. Und ich werde auch oft wegen oder trotz meines Scheiterns geliebt.

Wolf Biermann, die Bonzen und ich

Ich höre gerade die „Große Ermutigung“ von Wolf Biermann auf Deutschlandradio Kultur.

Der Sänger erzählte vorher von seiner „Ausbürgerung“ aus der DDR, er hatte sich mit den „kommunistischen“ Bonzen angelegt und durfte aus der BRD nicht mehr zurück reisen.

Was für ein Euphemismus ist das Wort „Ausbürgerung“. Das ist eine schreckliche Sprache.