begrenzt utopisch Denken

Diesen Blog habe ich Utopolitan genannt, weil er (wenn auch ironisch verfremdet) eine Art Online-Magazin für utopisches Denken und Handeln werden sollte. Das ist er, vielleicht zum Glück, nicht ganz geworden.

Gerade habe ich für meinen Unterricht Teile von Hans Jonas „Das Prinzip Verantwortung“ gelesen. Besonders interessant ist nicht nur, dass er schon 1979 auf anderthalb Seiten alle wichtigen Analysen und Prognosen der Klimakrise knapp zusammenfasst, inklusive Kipppunkten, sondern auch eine Ethik aus der Verletzlichkeit lebendiger Wesen ableitet, wie es Judith Butler in „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ tut.

Für mich und diesen Blog sind darüber hinaus seine Überlegungen zu Utopien besonders bedenkenswert. Er schreibt nämlich, dass er Utopien ablehnt und sie für schädlich hält. Er schaut sich die philosophischen Utopien der Marxisten, vor allem von Ernst Bloch und Marx selbst an, und weist überzeugend nach, dass wir sie nicht wirklich wollen können.

Besonders überzeugend ist sein Argument, dass utopisches Denken gegenwärtig lebende Menschen immer zu Mitteln degradiere, die den Zielen zukünftiger Menschen dienten. Er plädiert stattdessen dafür, sich der Arbeit und den Aufgaben zu stellen, die unser Leben von uns fordert, sobald wir wahrnehmen und akzeptieren, dass wir Menschen und unsere Gesellschaften immer unvollkommen, fehlerhaft und fehlbar sein werden.

Soweit ich ihn bisher verstehe, ist sein Argument gegen Utopien vor allem dieses: Ignorieren wir die prinzipielle und nie überwindbare Unvollkommenheit von Menschen und Gesellschaften und lassen Utopien unser Handeln bestimmen, dann tendieren wir dazu, ideologisch und totalitär zu handeln, weil wir andere Menschen und uns selbst in den Dienst einer perfekten Gesellschaft der Zukunft stellen, die wir auch gegen Widerstand von anderen schaffen müssen, koste es in der Gegenwart, was es wolle. Und zwar selbst dann, wenn wir nicht bestimmen können oder wollen, wie diese perfekte Gesellschaft beschaffen sein sollte, sondern das späteren Menschen überlassen wollen. Die Menschheit sei nämlich in solchem utopischen Denken noch nicht voll verwirklicht, nicht vollkommen sie selbst, sondern werde erst in der Zukunft verwirklicht, weshalb wir heute lebenden Menschen in diesem Denken sozusagen nur ein Zwischenstadium auf dem Weg dorthin sind, der Sinn und Zweck unserer Existenz liege im utopischen Denken deshalb darin, die volle Entfaltung der Menschheit in der Zukunft zu ermöglichen, nicht in unserer eigenen Existenz hier und heute.

Zuerst dachte ich, ich schließe diesen Blog oder benenne ihn um, denn das ist so überzeugend und unbestreitbar vernünftig, dass mir erstmal kein Gegenargument eingefallen ist.

Dann habe ich etwas darüber nachgedacht und mir ist aufgefallen, dass Jonas Ethik der Verantwortung eigentlich eine Struktur hat, die eine ähnliche Folge wie das utopische Denken hat. „Handle stets so, dass die Folgen Deines Handelns vereinbar sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ ist sein verantwortungsethischer Imperativ. Das bedeutet aber auch, dass meine Existenz heute immer auch dem Sinn und Ziel dient, menschliches Leben auf Dauer zu sichern. Er beschäftigt sich zwar mit dem Argument, dass es nicht wirklich eine zwingende moralische Argumentation gibt, die von uns heutigen Menschen abverlangen kann, dass wir auch neue Menschen auf die Welt bringen – vertraut aber einfach darauf, dass der Fortpflanzunsgtrieb sowieso dafür sorgen wird, dass es immer eine nächste Generation geben wird, um deren Existenz und menschenwürdiges Leben wir uns sorgen müssen, für die wir also Verantwortung übernehmen müssen.

Nehmen wir aber einmal an, Posthumanist*innen hätten die gesamte Weltbevölkerung der Zukunft mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse davon überzeugt, dass das Leben auf der Erde unter der Menschheit mehr leidet, als dass die Menschheit dem Leben nützt, und alle Menschen hätten deshalb aus Achtung und Sorge um das Leben aller anderen Lebewesen beschlossen, so konsequent zu verhüten, dass keine neue Generation von Menschen mehr entsteht. Das wäre nach allen moralischen Maßstäben, die ich kenne, keine unmoralische Entscheidung, weil es in der Autonomie der Menschen liegt, diese Entscheidung treffen zu dürfen. Es kann für Menschen keine Pflicht geben, sich fortzupflanzen, sobald bewiesen ist, dass die Menschen allen anderen Lebwesen mehr schaden als nützen, wofür aktuell einiges spricht, ohne der Forschung da vorgreifen zu wollen. Robin Wall Kimmerer möge mir die Konstruktion dieses Gedankenexperiments verzeihen. (Sie glaubt, dass wir menschliche Kulturen erhalten und neu schaffen können, die uns Menschen zu einem heilenden Element der Biosphäre machen).

Das einzige moralische Argument, das ich sehe, warum die Menschheit unbedingt weiterleben muss, selbst wenn sie den anderen Lebewesen mehr schadet als nützt, ist, dass wir uns durch Kultur, Sprache und Technik von Naturzwängen freier gemacht haben, als alle anderen uns bekannten Lebewesen das können, und Freiheit ist ein so zentraler Wert, dass wir die Pflicht haben, ihn zu schützen, selbst wenn die Biosphäre darunter leidet.

Nun ist es so, dass wir nicht widerspruchsfrei argumentieren können, um der Freiheit willen hätten wir uns der Pflicht unterzuordnen, uns fortzupflanzen, weil das ja unsere Freiheit empfindlich einschränken und so zu einem Selbstwiderspruch führen würde.

In der fiktiven Situation des Gedankenexperiments wäre der verantwortungsethische Imperativ von Hans Jonas nicht mehr zwingend, weil die freiwillige und allgemeine Verhütung zwar die Permanenz menschlichen Lebens auf Erden unmöglich machen würde, trotzdem aber verantwortungsethisch gedacht nicht unmoralisch ist, sondern genau das Gegenteil: Eine verantwortliche gemeinsame Entscheidung.

Es wäre allerdings eine Reihe Folgeprobleme zu bewältigen, unter anderem, wie ein würdiges Altern und Sterben der Menschheit unter diesen Bedingungen möglich wäre, wenn wir das nicht durch Pflegeroboter mit eingebauter Halbwertszeit garantieren wollen. Außerdem müssen wir natürlich mit der Fallibilität unserer wissenschaftliche Erkenntnisse rechnen, wir können uns eben auch dann, wenn wir sehr kluge und informierte Posthumanist*innen sind, in so fundamentalen Fragen wie dem Effekt der Existenz der Menschheit auf die Biosphäre und das Leben allgemein gründlich täuschen.

Ein Schüler von mir aus der 10ten Klasse hat mir zum Beispiel ein ziemlich gewichtiges Argument mitgegeben, warum es evolutionär trotz aller Schäden für das Leben Sinn macht, dass die Biosphäre die Menschen hervorgebracht und sich so hat entwickeln lassen: Die Menschheit scheint eine ziemlich erfolgversprechende Methode zu sein, dafür zu sorgen, dass das Leben auch eine verheerende Katastrophe, etwa den Einschlag eines Kometen auf der Erde, überleben kann, indem es sich durch Raumfahrt auf andere Himmelskörper ausbreitet und so die Wahrscheinlichkeit erhöht, selbst nach einer Katastrophe, die den Planeten unbewohnbar macht, weiterzuexistieren.

Ich würde aus meinem Gedankenexperiment diesen Schluss ziehen: Wenn wir überhaupt verantwortungsethisch denken wollen, dann brauchen wir begrenzt utopisches Denken. Das kann zum Beispiel daraus entwickelt werden, was Robin Wall Kimmerer entwirft: Menschliche Kulturen der Zukunft, die sich auf indigene Traditionen stützen und das Leben schützen und fördern, und zugleich eine Zivilisation bilden, die den schädlichen Impact von Raumfahrt auf die Biosphäre verantworten kann, ohne mehr Schaden als Nutzen anzurichten oder das Leben auf dem Planeten gar unmöglich zu machen.

Tatsächlich ist das natürlich nur eine Variante utopischen Denkens angesichts der ökologischen Krise der Gegenwart, eine andere wäre zum Beispiel, zu akzeptieren, dass nach allem, was wir wissen, das Leben auch als Ganzes Grenzen in der Zeit hat und das vielleicht auch in Ordnung ist, wenn wir nicht mutwillig und spezies-egoistisch daraus ableiten zu können glauben, dass wir der Biosphäre alles antun dürfen, was wir können, sondern es im Gegenteil als unsere Aufgabe ansehen, das Leben, so lange es uns möglich ist, hier auf der Erde zu pflegen und zu schützen, bis wir mit ihm zusammen durch natürliche Ursachen enden.

Mein Plädoyer für begrenztes utopisches Denken ist inmitten einer ziemlich ausufernden utopischen Spekulation zum Stehen gekommen – weshalb ich es an dieser Stelle wiederholen und ihm Folge leisten möchte. Ich denke, Grenzen in der Zeit sind eine Variante begrenzten utopischen Denkens, begrenzt wäre also die letzte Utopievariante, nicht die Version mit der Raumfahrt und der Auswanderung des Lebens ins All. Hier schließe ich mich Hans Jonas an in der Haltung, die Akzeptanz von Endlichkeit, Begrenztheit und Unvollkommenheit dem Streben nach Unendlichkeit, Ewigkeit und Perfektion vorzuziehen. Denn auch die Unterordnung unter das Ziel, das Leben um jeden Preis zu erhalten, auch gegen Kometen, macht uns und auch alle anderen Lebewesen der Gegenwart zu bloßen Mitteln für die zukünftige Existenz von anderen Lebewesen – ethisch keine gut begründbare Position, weil sie sich bis ins Unendliche fortsetzen ließe, so dass es nie eine Gemeinschaft von Lebewesen gäbe, die zuerst (und vielleicht sogar nur) ihrer gemeinsamen gegenwärtigen Existenz zuliebe da wäre. Was wäre dann das Leben, sollte es irgendwann enden, was wahrscheinlicher ist als das Gegenteil, gewesen?

Die Klimakrise und das Ende des Kapitalismus: Eine Alternative zu Ulrike Herrmanns Vorschlag

Am Donnerstag war ich in Marburg beim Vortrag von Ulrike Herrmann über ihr Buch „Das Ende des Kapitalismus“. Ganz grob zusammengefasst hat sie da mit Witz und Verve die These vorgetragen und verteidigt, dass der Kapitalismus eigentlich ein besseres Leben für alle bringt, aber zum Funktionieren ständiges Wirtschaftswachstum braucht, was nicht unendlich weitergeht auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen. Deshalb sei es eine Illusion, zu glauben, es könne grünes Wirtschaftswachstum geben. Also käme der Kapitalismus bald an sein Ende. Wir hätten nur die Wahl, ob dieses Ende chaotisch oder geordnet ablaufe. Sie ist für ein geordnetes Ende und schlägt dazu vor, grünes Schrumpfen zu organisieren, indem wir als Gesellschaft planen und bestimmen, was und wieviel produziert und konsumiert werden darf. Es dürfe zum Beispiel pro Person nur 50 qm Wohnfläche in Deutschland zugeteilt werden. Wenn Frau Quandt, der ein großer Anteil von BMW gehört, eine zu große Villa habe, müsse sie dann eine WG gründen.

In der Diskussion gab es auch Kritik aus dem Publikum, eine junge Frau in der Reihe vor mir sagte, dass das Problem am Kapitalismus ja nicht nur sei, dass die Natur zerstört werde, sondern auch, dass er Ausbeutung erzeuge. Darauf antwortete die Autorin, dass Ausbeutung wie zum Beispiel Sklavenarbeit den Kapitalismus hemme, weil dieser nur zur vollen Dynamik käme, wenn die Arbeiter*innen genug verdienten, um Massenkonsum möglich zu machen. Nur durch hohe Löhne könnten nämlich viele Menschen große Massen von Produkten kaufen.

Mir ist wie so oft ein guter Beitrag zur Diskussion erst Tage später eingefallen. Hier ist er nun: Mein Einwand gegen ihre These über den Kapitalismus ist folgender: Der französische Sozialhistoriker Fernand Braudel hat in seinem Buch „Die Dynamik des Kapitalismus“ 1985 die These aufgestellt, das Marktwirtschaft und Kapitalismus nicht dasselbe sind, sondern Gegensätze. Er meint nämlich, dass der Kapitalismus eine Struktur ist, die den Markt außer Kraft setzt. Für Braudel ist der Kapitalismus ein System, in dem Macht- und Wissensvorsprünge zum Beispiel von großen Konzernen genutzt werden, um eigentlich gute Marktmechanismen wie die freie Preisbildung außer Kraft zu setzen. Ein Beispiel ist dieses: Wenn Textilkonzerne über die Preise von Rohstoffen (wie Baumwolle), Lohnkosten (wie den Löhnen von Näher*innen in Bangladesh) und von Vorprodukten (wie Baumwollstoffen) in den globalen Lieferketten gut informiert ist, diese Information aber ihren Zulieferbetrieben und Partnerunternehmen, ihren Konkurrenzunternehmen und den Konsument*innen vorenthalten können, können sie viel bessere Preise für sich durchsetzen, als wenn alle über die realen Preise und Kosten des Konzerns Bescheid wüssten. Deshalb nutzen nach Braudel große Konzerne systematisch das Informationsdefizit aller anderen, um sich zu bereichern. Durch das daraus gewonnene Kapital bekommen sie noch mehr Macht über den Markt und zerstören die Marktmechanismen oder setzen sie ganz oder teilweise außer Kraft, indem sie zum Beispiel berechnen, wie lange sie Dumpingpreise für ihre Produkte durchhalten können, bis sie Konkurrenzunternehmen aus dem Markt gedrängt haben.

Ulrike Herrmanns Vorschlag, durch Rationieren die Wirtschaft grün zu schrumpfen, löst dieses Problem glaube ich nicht. Zwar wäre dann die Preisbildung kontrolliert, weil die Gesellschaft die Preise vorgeben würde und die Konzern-Machtpolitik durch Informationskontrolle nicht mehr funktionieren würde. Aber das Problem würde dann vermutlich bloß verwandelt wieder auftreten, weil es Institutionen geben müsste, die die Preise und die Zuteilungen festlegen. Institutionen sind aber immer beeinflusst durch soziale Kräfteverhältnisse. Ganz nüchtern prognostiziert würden dann wieder große Gruppen und Organisationen Macht- und Wissensvorsprünge nutzen, um für sich die profitabelsten Preise und Rationierungen durchzusetzen, bloß nicht auf dem Markt, sondern in einer anderen Institution wie dem Staat oder in zivilgesellschaftlichen Steuerungsstrukturen. In einer Gemeinwohlökonomie wären solche Strukturen zum Beispiel Bürger*innenräte, die Firmen nach Gemeinwohlkriterien bepunkten.

Mein Lösungsvorschlag wäre, diese 3 Institutionen, Markt, Staat und Gemeinwohlräte sich gegenseitig kontrollieren zu lassen, um für Transparenz für alle zu sorgen. Das sollte nicht nur national, sondern auch auf internationaler Ebene geschehen. Das Lieferkettengesetz enthält zum Beispiel einen Versuch des deutschen Staates, die Konzerne zu Transparenz zu zwingen, um idealere Märkte entstehen zu lassen. Das wird aber ohne internationale Regeln für Lieferketten nicht gut funktionieren, weil deutsche Konzerne in globaler Konkurrenz stehen. Wir brauchen eine ähnliche Regel also auch auf EU- und internationaler Ebene.

Außerdem sollte meiner Meinung nach das Kartell- und Steuerrecht international so umgestaltet werden, dass Macht mit der Zeit immer mehr dezentriert wird, indem das Kapital in der globalen Gesellschaft gerechter verteilt wird. Die internationale Mindeststeuer für global agierende Konzerne geht da in die richtige Richtung.

Zugleich müssen wir Bürger*innen, Lohnabhängige und Konsument*innen statt auf den Staat zu hoffen unsere ökonomischen Verhältnisse selber ändern, soweit das in dem bestehenden System geht, und mit einer Graswurzelökonomie den Staat, den Markt und die Gemeinwohlräte in der Transformation flankieren.

Mit diesem Programm könnten wir eventuell geordnet in die von Herrmann anvisierte Kreislaufwirtschaft übergehen. So könnten wir gleichzeitig das politische Problem von Herrmanns Rationierungs-Vorschlag lösen: Jeder Versuch einer starken staatlichen Lenkung der Wirtschaft, der mit bestehenden Privilegien bricht, wird nämlich zu einem politischen Rebound-Effekt führen. An den Bauern-Protesten sehen wir jetzt schon, was passiert, wenn die Bundesregierung bloß versucht, bereits bestehende staatliche Lenkung und Steuerung der Wirtschaft (zum Beispiel die staatliche Bezuschussung von Diesel durch Subventionen an die Agrarwirtschaft) milde klimaschonend zu reformieren. Wenn der Staat gemäß Herrmanns Vorschlag zukünftig sogar versuchen sollte, Rationierungen durchzusetzen, wird das entweder erst funktionieren, wenn die Notsituation nicht mehr zu ignorieren ist, also in einem Kollaps der natürlichen Systeme, der überall für alle spürbar ist, was wir ja gerade vermeiden wollen, oder es wird zu massiven sozialen Widerständen und Kämpfen und in deren Folge zu politischen Krisen kommen, die einen Rückschlag in klimafeindliche Politik bei den nächsten Wahlen erzeugen. Wir verlieren so im demokratischen Prozess wertvolle Zeit, die wir nicht mehr haben, weil die Klimakrise so schnell abläuft.

Gemeinwohlräte, funktionierende transparente Märkte und Graswurzelökonomie können im Konzert mit dem Staat vielleicht diese Klippen umschiffen. Idealere Märkte würden den meisten Menschen wirtschaftliche Vorteile bringen und zugleich die für die Wirtschaftsaktivitäten nötigen Informations- und Wissensflüsse ermöglichen. Diese können Staaten meiner Ansicht nach mangels Kompetenz und Mitteln gar nicht gewährleisten. Gemeinwohlräte könnten den Informationsfluss zwischen Staat und Bürger*innen verbessern, und zwar in beide Richtungen, so dass politische Krisen vermieden werden könnten. Und Graswurzelökonomie kann vielleicht das, was Ulrike Herrmann so kategorisch in Frage stellt: Grünes Wirtschaftswachstum erzeugen.

Gleich gehe ich zur Bieterunde meiner Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi). Bevor das zum Nischenphänomen vorkapitalistischer Sozialromantik erklärt wird: Pflanzen setzen Sonnenenergie zwar nur mit einem maximalen Wirkungsgrad von 20% um und sind damit scheinbar ineffizienter als die neuesten Photovoltaik-Module. Aber ein Baum braucht neben den Nährstoffen in seinem Samen nur die von ihm selbst erzeugte Sonnenenergie, um zu wachsen, während ein Solarmodul erstmal etwa 10 Jahre laufen muss, um die Energie wieder zu erzeugen, die bei seiner Herstellung verbraucht wurde, und da reden wir noch nicht über den Schwerölmotor des Containerschiffs, das das Modul von China nach Deutschland schippert. Holz kann dagegen wunderbar mehrmals recycelt werden, am Ende eines langen Nutzungszyklus dann als Energiequelle dienen oder je nach Bedarf in Form von Bauholz als CO2-Speicher verwendet werden, oder – ganz verrückte Idee – wir lassen den Baum einfach leben, wodurch er ganz von selbst und ohne jede menschliche Arbeit CO2 aus der Athmosphäre zieht, im Holz speichert und noch dazu zum Nulltarif Sauerstoff für Tiere herstellt und die lokalen Wasserkreisläufe reguliert. Grünes Wirtschaftswachstum ist glaube ich machbar, wenn wir den Blick von der Fixierung auf das E-Auto mal abwenden, und ein breiteres Bild gewinnen, das zum Beispiel auch Digitaltechnologie zur Kommunikation und Wissensgenerierung, in der Regionalwirtschaft traditionell erprobte Stoffkreisläufe, innovative sozioökonomische Experimentierpraxis und auch Schnittmengen der Sozialromantiken vieler Kulturen enthält, denn die sind für die Genese eines neuen gesellschaftlichen Konsenses nicht zu unterschätzen. Wir könnten dazu zum Beispiel die Prinzipien der ehrenwerten Ernte, wie sie Robin Wall Kimmerer aus Nordamerika überliefert, mit der europäischen Tradition der Allmende und anderen Sozialromantiken kombinieren. Das ist glaube ich nötig, weil die Sozialaufklärung, hier verkörpert in der ökonomischen Ideologiekritik, die Herrmann an Adam Smith, Karl Marx und ihren Nachfolgern mit deren eigenen methodischen Mitteln der ökonomischen und wissenschaftlichen Analyse übt, an ihre historischen Grenzen gestoßen ist. Aufklärung hat uns das Wissen gebracht, die Klimakrise und ihre Ursachen zu erkennen, aber nicht die Motivation, sie zu überwinden. Motivation braucht neue Narrative. Ich habe deshalb hier mal versucht, die Wirtschaftsgeschichte als Resonanzverhältnis statt als Kontrollverhältnis weiterzuschreiben.

Postpatriarchale Trickkiste; Trick Nr. 1: Erkenne und eliminiere den patriarchalen Anteil

Mein Freund Reinhard hat mir den Begriff „projektiver Anteil“ beigebracht. Das ist der Anteil von meinen auf eine Person bezogenen Gedanken, Gefühlen und Handlungen, der aus Projektionen besteht, also zum Beispiel aus Erfahrungen, die ich mit ganz anderen Personen gemacht habe und die ich jetzt auf die Person in meiner Gegenwart übertrage.

Ich habe bemerkt, dass ich oft wütend auch auf nahe Menschen bin, und innerlich richtige Wuttiraden ausdenke, die ich den Personen sagen könnte. Aber ich habe Bell Hooks Buch über Männer, Männlichkeit und Liebe gelesen, und da schreibt sie darüber, was das Patriarchat mit Jungen macht, sie zum Beispiel dazu zu erziehen, dass Wut die einzige Emotion ist, die ein Mann zeigen darf, ja sogar soll, weil er dann als besonders männlich gilt.

Mein Trick besteht jetzt darin, mich zu fragen, was von meiner Wut auf nahe Personen eigentlich wirklich mit diesen Personen selbst zu tun hat und mit ihrem Verhalten mir gegenüber in der Gegenwart, und wieviel meiner Wut eigentlich aus im Patriarchat anerzogenen „männlichen“ Emotionsmustern besteht.

Es ist erstaunlich viel, und darunter ist oft eine ganz andere Emotion, zum Beispiel Traurigkeit, weil ich nicht geliebt werde oder wiel ich missachtet werde. Oft ist auch Schmerz darunter, weil mir jemand wehgetan hat. Ich versuche dann, in meinem Handeln nicht wütend, sondern gemäß meiner eigentlichen Emotionen wie Traurigkeit und Schmerz zu handeln, oft ist auch etwas Wut dabei, aber die ist viel gemäßgter, als ich zuerst dachte und spürte.

Das schöne an dem Trick ist, dass ich dann der Person gerecht werden kann. So kann ich adäquater auf sie reagieren. Und sehr erleichternd ist: Es ist für mich sogar schon innerlich viel weniger anstrengend, meinen Schmerz und meine Traurigkeit zu spüren, weil innere Wut total anstrengend ist, wenn sie eigentlich von irgendetwas patriarchalem in mir erzwungen werden muss, statt dass ich die Gefühle spüre, die wirklich meine sind.

Probiers mal aus.