Frankfurt, Blockupy 2012 – mein Leben und die anderen

Bislang unveröffentlichter Artikel vom 24.6.2012

Ach, was waren das noch für schöne Zeiten, als die Welt sich im Titanenkampf zwischen Kommunismus und Demokratie befand. Irgendwie war alles so klar und eindeutig.

Heute lese ich in der Süddeutschen, wie Erwin Strittmatter sich in der DDR angepasst und doch nicht angepasst hat. Gelitten habe er unter dem „Kleinbürgerdiktator“ Ulbricht und seine Funktionärsrolle im Schriftstellerverband nur widerwillig gespielt. Ein ähnliches Leiden und doch Mitarbeiten wird über Brigitte Reimann berichtet in dem von Ina Merkel herausgegebenen Band „Das Kollektiv bin ich“. Reimann, auch sie Schriftsteller_in, identifizierte sich mit der sozialistischen Idee und lag trotzdem mit der Realität der DDR ständig im Clinch. Bertolt Brecht, der seine letzten Lebensjahre in der DDR fristete und sich schonmal beschwerte, weil seine staatlich zugeteilte Bierration für die kreative Schöpfungstätigkeit zu klein sei, hat zu den Volksaufständen am 17. Juni 1953 in der DDR geschrieben: „Wäre es unter diesen Umständen nicht besser, die Partei löste das Volk auf und wählte ein neues?“ Volker Braun, auch er Kommunist, nannte einen Gedichtband „Training des aufrechten Ganges“. Auch ihm fiel derselbe in der DDR nicht leicht. In meiner persönlichen Zeitgeschichte versammeln sich Schreiber_innen, die sich ständig im Spagat zwischen ihrem kommunistischen und kritischen Idealismus und dem gängelnden Alltag der DDR-Bürokratie befanden. Soweit, so klar. Es ist nur auch interessant, wie jetzt in der Geschichtsschreibung der liberalen Presse über die Schriftsteller berichtet wird, die, obwohl Kommunisten, sich mit der DDR nicht vollends identifizieren konnten und wollten, obwohl oder gerade weil sie dort lebten. Ich will die Einstellung, die die liberalen Schreiber gegenüber Kommunisten wie Brecht einnehmen, einmal als geprägt vom „Das- Leben-der-anderen-Schema“ beschreiben. Die werte Leser_in erinnere sich an den gleichnamigen Film, in dem gezeigt wird, wie ein Schriftsteller von der Stasi zugrundegerichtet wird. Das Schema des Filmes ist einfach: Der kritische Freidenker wehrt sich mit seinen literarischen Waffen gegen die Unterdrückung durch den DDR-Staatsapparat und gerät unter dessen Stasi-Räder. Freiheit gegen Zwang, Zwang gewinnt, zum Glück gewinnt am späten Ende, im Jahr 1989, wie der Zuschauer weiß, dann doch noch das Gute. Wir gehen kathartisch gereinigt aus dem Kino und wissen: Es war gut, dass die DDR abgeschafft wurde. Für dieses Schema sind Menschen wie Strittmatter, Braun, Brecht und Reimann ein Problem. Sie haben die DDR gestützt, obwohl sie unter der Repression gelitten haben, die durch dieses System ausgeübt wurde. Sie haben die DDR nicht verlassen, obwohl sie einen ständigen Seiltanz zwischen Kritik und Anpassung vollziehen mussten. Diese Lebensläufe und ihre Dokumente legen der Leser_in nahe: In der DDR kann nicht restlos alles schlecht gewesen sein. Da diese Erkenntnis aber nicht ins „Das-Leben-der-anderen-Schema“ passt, muss uminterpretiert werden. Nicht die Strahlkraft der kommunistischen Idee war gut, sondern des Kommunisten Brechts gute Seiten waren zu schwach, um sich gegen den sozialistischen Staat zu entscheiden. Brigitte Reimann hat lange in der sozialistischen Musterstadt Hoyerswerda gelebt und gelitten, weil die sozialistischen Planer keine Freiräume für kulturelles Leben in ihrer Reißbrettstadt eingeplant hatten. 1991, kurz nach der Wende, wurde Hoyerswerda zum Symbol für sinnlose Gewalt gegen Ausländer_innen. Ostdeutsche Neonazis warfen Molotow-Cocktails auf ein Heim für Vertragsarbeiter_innen aus Vietnam. Damals konnte die deutsche Polizei diese Verbrechen nicht verhindern. Vor Kurzem wurde bekannt, dass Ermittler im Zuge der NSU-Mordserie-Ermittlungen ein Medium aufsuchten, um Kontakt zu einem der Ermordeten aufzunehmen. Während in Dresden die Polizei illegalerweise systematisch alle Telefondaten der Teilnehmer_innen einer Anti-Nazi-Demonstration erfasst, halten Polizisten bei der Suche nach Mörder_innen an Ausländer_innen Seancen ab. Der siegreiche Kapitalismus hat, das zeigen Hoyerswerda und die NSU-Morde, seine Schattenseiten. In Spanien sind 50 % aller Jugendlichen ohne Job, die Hypothekenblase in den USA ist auf Kosten der Mittel- und Unterschicht geplatzt. Die Einkommensunterschiede zwischen arm und reich nehmen selbst im boomenden Deutschland stetig zu. Die Finanzkrise zeigt, dass weder Politik- noch Wirtschaftseliten der westlichen Länder langfristig tragfähige Lösungen für die Krisen des Kapitalismus parat haben. Der Kapitalismus beherrscht die westliche Welt, und dennoch geht es unserer Welt nicht gut. Antonio Gramsci, der italienische Kommunist, definierte Herrschaft als „Hegemonie, gepanzert mit Zwang“. Hegemonie des Kapitalismus bedeutet: In der Süddeutschen werden Geschichten über Schriftsteller erzählt, denen es in der DDR schlecht ging. Zwang bedeutet: In Frankfurt werden bei den Blockupy-Protesten gegen die Troika aus Europäischer Kommission, IWF und EZB, die Südeuropa in die Depression stürzt, mehrere tausend Polizist_innen in Stellung gebracht gegen tausend friedliche Demonstrant_innen. Sicher: Die Situation war kritisch. Als 20 Demonstrant_innen in weißen Gewändern und langen schwarzen Perücken vor dem Frankfurter Römer ein satirisches Lied auf die Finanzkrise sangen, dachte ich auch für einen Moment, dass sie gleich die Regierung stürzen und die Demokratie abschaffen. Ich war regelrecht erleichtert, als endlich 50 Polizist_innen mit Helmen, Schilden und Schlagstöcken aufmarschierten, um ein kritisches Transparent vom Römer wieder abzureißen und so die Demokratie im letzten Moment zu retten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Polizist_innen in Frankfurt vorher zu Schulungszwecken gezwungen wurden, „Das Leben der anderen“ zu schauen. Leute wie ich wollten, so wurde ihnen wahrscheinlich suggeriert, dem Kommunismus doch noch zum Sieg verhelfen. Jetzt ist es so, dass ich die Geschichten über Brecht, Braun, Reimann und Strittmatter doch so abschreckend finde, dass ich mir die Stasi nicht zurückwünsche. Trotzdem möchte ich öffentlich zeigen, dass ich den Kapitalismus, weil er Profite systematisch über Menschen stellt, für eine strukturell undemokratische Wirtschaftsordnung halte. Damit werde ich zum Problem: Ich passe irgendwie nicht ins „Das-Leben-der-anderen-Schema“. Ich bin weder Stasi-Kommunist noch verfolgter Freidenker. Ich kann diesen Blog schreiben und vor dem Römer Straßenmusik während einer Demonstration gegen den Kapitalismus machen und muss mich nicht vor dem Verfassungsschutz rechtfertigen oder meinen Computer in einem Geheimfach im Fußboden verstecken. Ich denke, die Stasi und die Kommunismus-Variante der DDR sind der kleinste gemeinsame Feind, auf den sich die miteinander im Clinch liegenden Eliten der Republik einigen können und auf den sie rituell einschlagen, um sich zu erklären, dass sie trotz Neonazis, Massenarbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen, politischer und wirtschaftlicher Grabenkämpfe, Unterdrückung linker Demonstrant_innen und Schuldenkrise zurecht an der Macht sind. Ich habe eine Nachricht für die Eliten: Der Kapitalismus hat gewonnen. Sie können aufhören, auf den Kommunismus einzuschlagen. Dann bekommen sie vielleicht das Blickfeld frei, um zu prüfen, ob im Kapitalismus Menschen in Würde, das heißt frei, gleich und solidarisch, zusammenleben können. Meine Erlebnisse in Frankfurt haben da gewisse Zweifel gesät.

Mit Pfefferspray gegen Care-Demonstrant_in

Das folgende Interview habe ich mit einer Mitdemonstrant_in geführt, die ich am 1.6.2013 auf der Blockupy Demonstration in Frankfurt a.M. getroffen habe. Auf eigenen Wunsch bleibt die Demonstrant_in anonym.
Utopolitan: Wir haben uns das erste Mal auf der Blockupy-Demonstration getroffen. Wofür wolltest Du dort demonstrieren?
Ich wollte eigentlich im „Care“-Block demonstrieren, leider hatten wir den Block gerade zu dem Zeitpunkt erreicht, als die Demonstration von der Polizei gestoppt worden war. Ich wollte für eine feministische Perspektive in der Blockupy-Bewegung und in der linken Kapitalismuskritik demonstrieren. Es geht mir darum, dass die mit der „Finanz-Krise“ verbundene Krise der sozialen Reproduktionsverhältnisse, die sich im Bereich von Care-Arbeit zeigt, thematisiert wird. Es geht mir dabei um das Aufzeigen der Verschränkung der vielfachen Machtmechanismen in der Care-Arbeit und darum, dass es in der Diskussion um die Bewältigung der Finanzkrise nachrangig um die Bedürfnisse der Menschen geht und dass dies eine Perspektive zeigt, die auch in Nicht-Krisen-Situationen des Kapitalismus herrscht. Es geht um die Achtung der Care-Arbeit an sich, aber auch darum, dass den Bedürfnissen der Menschen generell mehr Bedeutung und Beachtung geschenkt wird und deren Missachtung nicht als nichtintendierte Nebenfolge des kapitalistischen Systems zu verstehen ist, sondern als politisch grundsätzliche Frage. Für mich geht es dabei um das Recht aller Menschen, ein Leben zu führen, in dem die vielfältigen und vielseitigen Bedürfnisse Platz und Raum haben.
Utopolitan: Du warst sehr aufgewühlt, als ich Dich nachmittags beim
Verdi-Lautsprecherwagen traf. Was war passiert?
Wir warteten die ganze Zeit auf der Höhe des „Care-Blocks“ darauf, dass die Demonstration weiterging. Wir standen mit einigen anderen wartenden Leuten in einem Durchgang zwischen dem hinteren Teil des Gebäudes der Oper Frankfurt und einem kleinen Park. In der Mitte des Durchgangs stand ein weißer Kombi der Polizei, auf dessen Dach eine Kamera montiert war, die sich drehte und während der gesamten Wartezeit offenbar die Umstehenden filmte. Die Leute im Demonstrationszug auf der Hofstrasse standen einige Meter von uns entfernt. Der Durchgang zum vorderen Teil der Oper war durch Zäune, die die Polizei dort angebracht hatte und dahinterstehenden PolizistInnen abgeriegelt.
Wir warteten an der beschriebenen Stelle ca. 2 Stunden, in denen wir immer wieder versuchten, herauszufinden, wieso die Demo überhaupt gestoppt worden war, jedoch verstanden wir weder die Durchsagen von den Lautsprecherwagen, noch konnten PolizistInnen uns eine plausible Auskunft geben. Um ca. 15 Uhr hatten sich an dem Durchgang mehrere Leute angesammelt, die alle wissen wollten, wie es mit der Demo weiterginge, unter anderem waren darunter drei ältere Menschen, die in meiner direkten Nähe standen; dann flog auf den erwähnten weißen Kombi der Polizei ein roter Farbbeutel. Zum gleichen Zeitpunkt hatten sich hinter der erwähnten Polizeiabsperrung ca. 15 PolizistInnen in einer Reihe versammelt. Ich stand bestimmt drei Meter von den PolizistInnen entfernt, als ich bemerkte, wie diese sich ohne Ankündigung in Bewegung setzten und die Leute in meiner Nähe anfingen, sich hektisch zu bewegen.  Ich duckte mich und wollte nur noch aus der Menge herauskommen, einige der DemonstrantInnen schrien und dann spürte ich auf einmal etwas Nasses auf meinem Gesicht. Meine rechte Gesichtshälfte und meine beiden Augen begannen fürchterlich zu brennen, weil mir über die anderen Menschen hinweg Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden war. Mein Freund zog mich aus der Menge heraus und ich versuchte, meine Augen und meine geschwollene Haut vom Pfefferspray zu reinigen.
Utopolitan: Es gibt die Meinung, dass die Polizei zurecht präventiv
gewaltbereite Demonstrierende gekesselt habe. Was meinst Du nach Deinen Beobachtungen dazu?
Was ich gesehen hatte, war eine Rakete gewesen, die aus dem Demonstrationszug abgefeuert worden war, außerdem hatte ich einen Busch gesehen, der qualmte und der von der Polizei mit einem Feuerlöscher gelöscht wurde. Meiner Meinung nach waren diese Taten kein Grund, die ganze Demonstration zu stoppen, weil es meiner Meinung nach eine politische Auslegung ist, diese Taten als gewaltbereit auszulegen oder nicht. Aus diesem Grund meine ich, dass die Interpretation und Beurteilung dieser Taten als „Bedrohung“ ein Anlass war, der gesucht wurde, um die Demonstration stoppen zu können und ein Versuch, die Bewegung und alle Teilnehmenden zu kriminalisieren.
Utopolitan: Wirst Du wieder Demonstrieren gehen und wenn ja, was wird anders sein?
Ja, ich werde auf jeden Fall und immer wieder demonstrieren gehen, weil das ein grundlegendes Recht ist. Allerdings habe ich bei dieser Demonstration zum ersten Mal in meinem Leben erlebt, wie ausgeliefert und zu unrecht man behandelt werden kann.
Es war für mich ein Schock zu merken, dass die Polizei als Vertreterin der staatlichen Macht mich körperlich angreifen kann, es in Kauf nimmt, mich zu verletzen, obwohl ich nichts getan hatte, sondern einfach an dem Durchgang gestanden hatte.
Für mich stellt sich nach diesem Erlebnis die Frage, inwiefern innerhalb der Polizei und bei den Polizeikräften die Macht und Gewalt, die ihnen verliehen wurde, reflektiert wird und es hat mir gezeigt, dass menschliche Kollateralschäden für offenbar politische Zwecke in Kauf genommen werden. Ich werde sicher nicht mehr darauf vertrauen, dass Polizeikräfte mich ausschliesslich schützen, sondern bin mir jetzt bewusst, dass sie meine körperliche Unversehrtheit verletzen können, ohne dass ich mich wehren kann.
Utopolitan: Danke für das Interview.

 

Gewerkschaften zu Tode loben – Teil 1

Thomas Lobinger lobt in der SZ die Tarifautonomie und sieht den Mindestlohn als grundgesetzwidrige Übernahme von gewerkschaftlichen Aufgaben durch den Staat.Besser sei es, das System der Kombi-Löhne gerechter zu machen. Der Sozialstaat finanziere Niedriglohnarbeitsverhältnisse zugunsten mancher Unternehmer mit, durch eine Abgabe für diese Unternehmer solle das begrenzt werden.

Lobinger argumentiert mit der grundgesetzlich geschützten Vertragsfreiheit. Nun gilt die nicht absolut, sondern in Grenzen: Kein Vertrag hätte vor Gericht Bestand, in dem der Arbeitnehmer auf sein Wahlrecht verzichtet. Die Grenzen, in denen Verträge geschlossen werden, werden politisch durch Gesetze gezogen. Warum sollte ein Mindestlohn von 10 Euro hier eine unzulässige Einschränkung der Vertragsfreiheit darstellen, dient er doch erst einmal nur dazu, die grundgesetzlichen Rechte auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu realisieren?

Oberhalb von 10 Euro gibt es immer noch genug Verhandlungsmasse, um die Gewerkschaften vor der Bedeutungslosigkeit zu retten. Ich kenne keinen Gewerkschafter, der nicht lieber für eine Lohnerhöhung von 20 auf 22 Euro kämpfen würde als die Abwehrschlacht gegen eine Minderung des Reallohnes von 6 auf 4 Euro zu schlagen.

Lesen Sie die Bibel, Herr Bouffier?

eine Frage anlässlich meiner Erlebnisse beim Polizeikessel auf der Blockupy-Demonstration am 1.6.2013 in Frankfurt a.M.

Die hessische CDU scheint es für ein Beispiel christlicher Nächstenliebe zu halten, Menschen, die für eine gerechte Welt demonstrieren, von der Polizei mit Knüppeln verprügeln und mit Pfefferspray verätzen zu lassen.Ich muss wohl meine Bibel nochmal lesen, denn ich hatte Jesus da irgendwie anders verstanden.

„Selig sind, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“

„Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heißen.“

Ich will nicht auf den Himmel warten. Und ich will nicht von einer Partei regiert werden, die das „C“ in ihrem Namen anscheinend nur noch zu Publicityzwecken für eine Politik der Gewalt und Ungerechtigkeit missbraucht.

Herr Bouffier hat jetzt gütig angekündigt, von den etwa 270000 in Hessen benötigten Sozialwohnungen sage und schreibe 2000 zu bauen. Danke! Vielleicht können sie die restlichen 268000 Familien auch gleich verprügeln lassen, das wäre ehrlicher, als sie weiter bei überteuerten Mieten in engen Wohnungen einzusperren.

Bei Paulus heißt es: „Es bleiben diese drei: Glaube, Liebe Hoffnung. Am höchsten aber ist die Liebe.“

Ich hoffe ja auf eine Weltwirtschaft, in der keine  Näher_innen in einstürzenden Schrott-Textilfabriken in Bangladesch zu Tode gequetscht werden, damit Frankfurter Bürger_innen auf der Zeil ihre Plastiktüten mit 9,90-Euro-Jeans vollstopfen können. Und ich glaube an eine Gesellschaft, die nach andern Prinzipien als Profitmaximierung und Konkurrenz bis aufs Blut funktioniert, nämlich nach den Prinzipien der Solidarität, der Freiheit und der offenen Kommunikation.

Von Liebe habe ich allerdings nicht mehr viel gespürt, als ich vor dem nigelnagelneuen Wasserwerfer der hessischen Polizei stand. Dazu hatte ich zuviel Angst. Und meine Mitdemonstrant_in mit der Beule am Kopf wird sich ihr T-Shirt mit dem Herzen vorne drauf und dem Slogan „reloveUtion“ hinten drauf das nächste Mal vielleicht auch nicht mehr anziehen.

Eines meiner Lieblingsbücher neben der Bibel ist ja das Grundgesetz der Bundesrepublik deutschland. Dort kannst du die folgenden verfassungsmäßigen Grundlagen unserer Staatsordnung nachlesen:

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. (Artikel 2)

Weiter heißt es ebenda:

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. (Artikel 20)

Wie würden Sie das 9stündige Festhalten von 1000Personen in einem Polizeikessel, ohne genügend Wasser oder eine Toilette allein mit der Begründung, einige der Eingekesselten hätten ein Tuch vor dem Mund gehabt und es seien Feuerwerkskörper geworfen worden, vor dem Hintergrund dieser Grundgesetzartikel beurteilen?

Schöne Grüße, Herr Bouffier, ich empfehle Ihnen wärmstens diese zwei Bücher:

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Autorenkollektiv.

Die Bibel. Verfasser nur teilweise bekannt.

In welcher Reihenfolge Sie sie lesen und welches ihnen wichtiger ist, ist mir egal.

 

Polizei erstickt Demonstrationsrecht mit Pfefferspray

Ein Medienspiegel zur Blockupy Demonstration am 1.6.2013

Ich war dabei. Stellt gerne Fragen per Mail.

 

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/blockupy-proteste-in-frankfurt-neun-stunden-im-kessel-1.1686594

 

http://www.hr-online.de/website/specials/extended/index.jsp?key=standard_document_48621415&jmpage=1&type=v&rubrik=81261&jm=1&mediakey=fs/hessenschau/130601195202_hs_blockupy_6990

 

http://ea-frankfurt.org/

 

http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt-live-ticker-stimmung-wird-immer-aggressiver,15402798,23082772,view,asFirstTeaser.html

 

http://www.fr-online.de/frankfurt/blockupy-frankfurt-ende-einer-demonstration,1472798,23093936.html

 

http://www.grundrechtekomitee.de/node/581

 

http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt-blockupy-tage-gehen-zuende,15402798,23090704.html

 

http://www.hr-online.de/website/specials/extended/index.jsp?rubrik=81261&key=standard_document_48633809

Das Geldrätsel, Brötchen und wann Freiheit erotisch ist

Geld ist ein Mysterium – wir wissen nicht genau, wie es funktioniert. Das trifft nicht nur auf diejenigen unter uns zu, die schlecht wirtschaften können, so wie ich. Fragen wir Ökonomen, wie die Geldwirtschaft funktioniert, werden wir sehr viele verschiedene Antworten bekommen, die sich nicht zu einem Ganzen fügen: Die letzte Erklärung liegt im Dunkeln. Ich persönlich glaube, dass geldbasierte Wirtschaft in letzter Konsequenz so etwas wie eine magische Praxis ist, die auf dem Glauben der Teilnehmer daran beruht, dass die Praxis funktioniert und ihre Richtigkeit hat. Geldwirtschaft ist eine Wirtschaft, die nicht auf Wissen beruht, die Aufklärung ist hier gescheitert. Wenn ich in der Bäckerei an meiner Ecke einen alten Mann ein Geldstück über die Theke reichen sehe, das die junge Bäckerin lächelnd annimmt und ihm daraufhin eine Tüte Brötchen hinüberreicht, dann sehe ich eine magische Verwandlung mit zwei Seiten: Das Geld hat sich in die Brötchen verwandelt und umgekehrt. Das funktioniert genau so lange, wie beide Tauschpartner daran glauben, dass diese Verwandlung das Normalste auf der Welt ist, was sich daran zeigt, dass sie praktisch darin vertrauen, dass der jeweils andere die Regeln der magischen Praxis kennt und einhält.

 

Dass sich überhaupt Geld in Brötchen verwandeln muss, wird durch das Recht auf Privateigentum notwendig: Hätte der Bäcker kein Eigentumsrecht an seinen Brötchen, könnte jeder die Brötchen im Laden einfach mitnehmen und müsste kein magisches Kaufritual vollziehen. Mit dem Privateigentum kommt das Problem auf, wie alle an Sachen kommen, die andere produzieren, ohne dass alles total umständlich ist und ich morgens erstmal dem Sohn des Bäckers Rechtschreibung beibringen muss, um mir meine Brötchen verdienen zu können, dann mittags für die Telekom Flugblätter verteilen, um meine Telefonkosten zu begleichen und abends noch schnell bei der Näherin das Fenster reparieren muss, damit ich mir eine neue Hose verdiene. Stellt man sich vor, dass Millionen von Leuten täglich so Arbeit tauschen, merkt man schnell, dass das auf ein Chaos von kosmischen Ausmaßen hinausläuft.

 

Zauberhafterweise hat deshalb jemand das Geld erfunden: Es begrenzt das Chaospotential des Privateigentums, so dass wir im Alltag erstmal klarkommen und mit einem universellen Tauschmittel ganz unterschiedliche Werte tauschen können. Den Wert einer Arbeitsstunde eines Schreiners tauschen wir gegen den einer Arbeitsstunde einer Buchhalterin und den gegen den Wert eines Goldnuggets, den irgendein lucky bastard im Fluss gefunden hat, wofür er nur den ganzen Tag die Beine lang machen und sich dann kurz bücken musste.

 

Das Problem ist jetzt, dass die Praxis des Geldbenutzens einen Riesennachteil hat: Eigentlich dient ja Geld dafür, unsere Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, ohne dass wir alles selbst können und machen müssen: Ich muss also nicht Nähen können, um mir den Wunsch nach einer neuen Hose erfüllen zu können, es reicht, wenn ich Kindern Rechtschreibung beibringe und den Lohn dafür für die Hose ausgebe. Geld befriedigt aber illusionärerweise noch einen weiteren Wunsch: Den Wunsch, sich alle Wünsche erfüllen zu können, die jemals auftauchen werden. Ottfried Höffe hat den Wunsch nach Geld deshalb einen Wunsch zweiter Ordnung genannt: Wir wünschen uns, ein Mittel zu haben, mit dem wir alle Wünsche erfüllen können.1

Scheinbar bietet ein solches Mittel uns eine Menge Freiheit, weil es sozusagen unspezifisch genug ist, um damit viele verschiedene Wünsche erfüllen zu können.

Ulrike Ackermann lobt dann auch einen vom Kapitalismus ermöglichten „Eros der Freiheit“.3 Sie will die Freiheiten des kapitalistischen Wirtschaftssystems gegen den Zwang zu Gleichheit und staatlicher Verwaltung verteidigen. Das finde ich erstmal richtig. Aber was ist eigentlich Freiheit? Der Philosoph Harry G. Frankfurt hat folgendes Konzept von Willensfreiheit: Den Willen von Personen bezeichnet er als Wunsch zweiter Ordnung: Was wir wollen, sei davon abhängig, welche Wünsche wir uns wünschen. Wer sich nicht bestimmte Wünsche aussuchen und andere vernachlässigen kann, ist nach Frankfurt ein „Wanten“, jemand, der von seinen eigenen Wünschen durch die Gegend getrieben wird und sich nicht vernünftig überlegen kann, was er machen will. Im Volksmund bezeichnet man solches Verhalten dann auch als „willenlos“. Manche Männer im Vollrausch graben zum Beispiel unter Missachtung aller guten Sitten Frauen sehr platt an, weil der Alkohol ihre Fähigkeit, sich bestimmte Wünsche wünschen zu können und andere nicht handlungswirksam werden zu lassen, ausgeknipst hat.

 

Jetzt hat der Willensbegriff nach Frankfurt einen riesigen Haken: Personen haben nämlich nicht nur Wünsche, sondern auch Bedürfnisse, zumindest, wenn sie Menschen sind und keine Computer oder Vulkanier wie Dr. Spock. Und Bedürfnisse kann man sich jetzt wünschen oder nicht wünschen, die hat man einfach. Die katholische Kirche experimentiert zum Beispiel seit Jahrhunderten damit, das Bedürfnis ihrer Priester nach Sex mit Wünschen zweiter Ordnung auszuschalten, hat dazu ausgefeilte Techniken der spirituellen Belohnung und drakonische Strafen ausprobiert, und alles, was dabei herausgekommen ist, sind eine Menge unglücklicher Leute und missbrauchte Ministranten. Frankfurts Modell der Willensfreiheit funktioniert also nur für Wünsche, die wir auch zurückstellen können, nicht für Bedürfnisse.

 

Zu diesen Bedürfnissen gehört meines Erachtens alles für das Überleben der Spezies Mensch notwendige: Zum Beispiel Essen, Sex und Schutz vor Krankheit und einer feindlichen Natur. Das unterdrückerische, repressive am Kapitalismus ist jetzt, dass manche Leute mit ihren Eigentumsrechten die Bedürfnisse anderer Leute ausnutzen können, um ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Sie können nämlich Geld mit Eigentumsrechten verdienen, die ihnen die Kontrolle über die Bedürfnisbefriedigung anderer Menschen geben, zum Beispiel an Brötchen, oder Wasser, oder Häusern. Deshalb machen sie die Bedürfnisse anderer Menschen zu Instrumenten für ihre Wünsche. Deshalb sind Märkte, auf denen Verträge über solche Dinge abgeschlossen werden, nicht frei, denn einige Menschen instrumentalisieren andere, um ihre Wünsche zu erfüllen.2 Diese Möglichkeit zur Unterdrückung nutzen nicht nur Aktienmillionäre aus, sondern auch Lotte Schlichter von nebenan, die bei KiK eine Hose für 9,90 kauft, die von einer 14jährigen Näherin in Bangladesch zu einem Stundenlohn von 3 Cent genäht wurde.

 

 

Das uns Geld als etwas erscheint, was frei macht, hat meiner Meinung nach folgenden Grund: Im Kapitalismus wird für uns das Geld zum Modell für unsere Freiheit: „Wer den Zweck will, will auch das Mittel“, hat Kant geschrieben. Wir wollen frei sein, also überlegen wir, welches Mittel wir brauchen, um diesen Wunsch erfüllen zu können. Dabei drängt sich Geld auf: Denn Geld ist wie unser Wille eine Struktur zweiter Ordnung: Der Wille ist die Fähigkeit, Wünsche wünschen oder nicht wünschen zu können, und Geld ist ein Instrument, mit dem wir alle anderen Instrumente herstellen können.

 

Nehmen wir an, ich wünsche mir eine Hose. Deshalb kaufe ich mir die Arbeitskraft von Profi-Näherinnen mit meinem Geld. Damit mache ich sie zu einem Instrument für meine Wünsche, aber so lange die den Deal freiwillig eingehen, ist das erstmal keine Unterdrückung. Die Unterdrückung fängt da an, wo ich die Bedürfnisse anderer Leute ausnutze, um sie zu zwingen, für meine Wünsche die Instrumente zu sein. Das Problem an Frankfurts Freiheitsbegriff und dem des Kapitalismus ist jetzt meiner Meinung nach, dass beide systematisch verdecken, dass Leute auf breiter Front die Tatsache, dass wir alle Bedürfnisse haben, die wir uns nicht aussuchen können, ausnutzen, um andere Leute auszubeuten. Wenn wir jetzt noch ein psychologisches Modell menschlicher Bedürfnisse einbeziehen, das von Maslow entwickelt worden ist, können wir sehen, dass selbst unsere scheinbare Freiheit im Reich der Wünsche bloß eine Scheinfreiheit wird, wenn der Kapitalismus voll auf alle Lebensbereiche durchschlägt: Maslow zufolge bauen bei Menschen folgende Bedürfnisse pyramidenförmig aufeinander auf: 1. Physiologische Grundbedürfnisse (Essen, Sex), 2. Bedürfnis nach Schutz, 3. Bedürfnis nach Gemeinschaft, 4. Bedürfnis nach Anerkennung, 5. Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.

 

Ich würde meine These von oben also insofern revidieren, als ich glaube, dass wir zwar, wie Frankfurt meint, wirklich teilweise frei zwischen Wünschen entscheiden können, aber dass wir das auf Ebene 1 und 2 von Maslows Bedürfnispyramide gar nicht, auf Ebene 3 vielleicht ein bisschen, auf Ebene 4 ein bisschen mehr und erst auf Ebene 5 dann ganz können. Da aber die unteren Ebenen Voraussetzung für Ebene 5 sind, wird unsere Freiheit als Person in einer Gesellschaft, die Bedürfnisse nutzt, um Profit zu generieren, immer wieder zunichte gemacht. Wenn mir zum 20. Mal die Selbstverwirklichung zusammenkracht, weil die Gesellschaft mein Bedürfnis nach Anerkennung nutzt, um mich zu Lohnarbeit zu zwingen, dann gebe ich vielleicht diese 5. Ebene irgendwann ganz auf. Und genau das passiert im Kapitalismus flächendeckend mit unserer Freiheit. Deshalb ist er ein unvernünftiges System, das nur funktioniert, solange wir alle glauben, mehr Geld bedeute mehr Freiheit. Die geldvermittelte Freiheit des Kapitalismus ist aber, weil sie die Bedürfnisse von Menschen zu deren Unterdrückung benutzt, ziemlich unerotisch. Echte Freiheit ist, da würde ich Ackermann zustimmen, tatsächlich erotisch. Aber echte Freiheit gibts nur dort, wo der Kapitalismus nicht herrscht.

 

1Ottfried Höffe: Lebenskunst und Moral. C.H. Beck.

2Vgl. Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

3Vgl. Ulrike Ackermann: Eros der Freiheit. C.H. Beck 2008.

Iron Errors

Maggie Thatcher, die Iron Lady, hat die Welt verändert. Bloß eben zum Schlechteren. Jetzt überschlägt sich Johann Schloemann in der SZ mit respektvollen Äußerungen, die den Grundtenor haben: „Na ja, sie hat es ein bisschen übertrieben mit dem Neoliberalismus, aber im Prinzip war das schon richtig.“

Das ist ungefähr so, als würde ein Chirurg einem Patienten das falsche Bein amputieren, und der Pressesprecher des Krankenhauses sagt hinterher: „Ja, es ist ein kleiner Fehler passiert, aber im Prinzip war die Operation richtig.“

Off-Brain

Ich habe vor kurzem das Buch „Postwachstum“ von attac gelesen. Darin steht, dass unser Kapitalismus gerade den Kollaps des globalen Ökosystems verursacht. Gut, zum Ausgleich für diese unangenehme Lage gibt uns der Kapitalismus Flachbildschirme, auf denen wir den Weltuntergang live und in Farbe miterleben können. Quasi als wären wir selbst dabei.

Manche kaufen jetzt schon große Geländewagen mit Allradantrieb, obwohl sie nur auf gut geteerten Straßen fahren. Würden alle Off-Road-geeigneten Wagen auch off road fahren, man könnte im Wald nirgends mehr spazierengehen. Warum kaufen viele Leute trotzdem teure Off-Road-Autos, obwohl sie nur On-Road fahren? Ich glaube, weil sie noch nicht zu 100 Prozent abgestumpft sind, sondern nur zu 99 Prozent. Mit dem verbliebenen 1 Prozent Sensibilität für ihre Umwelt registrieren sie, dass irgendetwas in die apokalyptische Richtung läuft. Aber das eine Prozent Sensibilität versorgt sie nicht mit genügend Information, um sinnvolle Aktionen daraus schlussfolgern zu können. Also kaufen sie Off-Road-Autos, weil sie insgeheim hoffen, auch nach der Apokalypse damit trotz überschwemmter Straßen, verschütterter Täler und weggespülter Brücken noch zum Bäcker Brötchen holen fahren zu können. Off-Road. Ich bin gespannt, wann die ersten Off-Brain-Produkte herauskommen. Wahrscheinlich werden das Apps fürs Iphone sein, die für den Benutzer vollautomatische Entscheidungen treffen. Du weißt nicht, welches die richtigen Freunde für Dich sind? Nutze die neue Off-Brain-App von Quasimento. Entscheidungen jetzt noch schneller. Im Unterschied zu herkömmlichen Apps der Konkurrenz wertet Quasimento 20 Milliarden Internetseiten nicht mehr nur in 20, sondern in sagenhaften 0,2 Millisekunden aus und findet für Dich die passenden Freunde.

Als kleine Gratis-Dienstleistung verrät Dir Quasimento außerdem, wie Du die vollautomatisch ausgewählten Freunde für Dich gewinnen kannst. Zufälligerweise wird die App, egal welche Freunde sie aus den Millionen Usern herausgefiltert hat, mit 50 % Wahrscheinlichkeit zum Kauf eines Off-Road-Wagens raten, weil gerade diese potentiellen Freunde total auf solche Wagen abfahren. In den anderen 50 % der Fälle rät die App dazu, die Wunschfreunde mit einem 3000 Zoll Flachbildschirm zu beeindrucken.