Transhumanismus – eine alte Idee jetzt noch dümmer

Transhumanisten wollen den Menschen mit technischen Mitteln vervollkommnen. Die Kritik, Transhumanismus gleiche dem Übermenschenkonzept der Nazis, versucht Natasha Vita-More von De:Trans mit folgendem Argument abzuwehren:

„Wir sollten uns aber nicht von den Fehlern der Vergangenheit leiten lassen.“

(SZ vom 8./9. 6. 2013, S. 18)

http://www.sueddeutsche.de/wissen/verbesserte-menschen-die-vielleicht-gefaehrlichste-idee-der-welt-1.1691220-2

Moment mal. Lesen wir diesen Satz vielleicht nochmal zum Mitschreiben:

„Wir sollten uns aber nicht von den Fehlern der Vergangenheit leiten lassen.“

Man soll also nicht aus Erfahrungen lernen. Für die Selbst-Vervollkommnung des Menschen ist das ein wirklich überzeugendes Programm.

Ich habe in meinem Leben echt schon viele Fehler gemacht, wahrscheinlich die meisten wirklich schwerwiegenden in Liebesbeziehungen. Zum Beispiel dieses Fremdknutschen.

Nach Vita-More und den Transhumanisten sollte ich aber nicht verzagen, geschweige denn mein Verhalten ändern, sondern einfach ein paar Neuro-Enhancer Pillen einwerfen, die mich glücklich und aktiv machen. Dann kann ich fröhlich weiter fremdknutschen, und dazu noch davon überzeugt sein, dass ich ein optimalerer Mensch bin als die Frau, die mich zurecht verlassen hat.

Stell Dir dieses Verhalten mal als Massenphänomen vor: Eine Gesellschaft von Fremdknutschern, die sich fantastisch finden. Na herzlichen Glückwunsch. in 2 Monaten wäre alles zusammengebrochen, Mord, Totschlag, Eifersucht, Einsamkeit.

Und weil es so schön war:

„Wir sollten uns aber nicht von den Fehlern der Vergangenheit leiten lassen.“

(Natasha Vita-More von De:Trans)

Gewerkschaften zu Tode loben – Teil 1

Thomas Lobinger lobt in der SZ die Tarifautonomie und sieht den Mindestlohn als grundgesetzwidrige Übernahme von gewerkschaftlichen Aufgaben durch den Staat.Besser sei es, das System der Kombi-Löhne gerechter zu machen. Der Sozialstaat finanziere Niedriglohnarbeitsverhältnisse zugunsten mancher Unternehmer mit, durch eine Abgabe für diese Unternehmer solle das begrenzt werden.

Lobinger argumentiert mit der grundgesetzlich geschützten Vertragsfreiheit. Nun gilt die nicht absolut, sondern in Grenzen: Kein Vertrag hätte vor Gericht Bestand, in dem der Arbeitnehmer auf sein Wahlrecht verzichtet. Die Grenzen, in denen Verträge geschlossen werden, werden politisch durch Gesetze gezogen. Warum sollte ein Mindestlohn von 10 Euro hier eine unzulässige Einschränkung der Vertragsfreiheit darstellen, dient er doch erst einmal nur dazu, die grundgesetzlichen Rechte auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu realisieren?

Oberhalb von 10 Euro gibt es immer noch genug Verhandlungsmasse, um die Gewerkschaften vor der Bedeutungslosigkeit zu retten. Ich kenne keinen Gewerkschafter, der nicht lieber für eine Lohnerhöhung von 20 auf 22 Euro kämpfen würde als die Abwehrschlacht gegen eine Minderung des Reallohnes von 6 auf 4 Euro zu schlagen.

Lesen Sie die Bibel, Herr Bouffier?

eine Frage anlässlich meiner Erlebnisse beim Polizeikessel auf der Blockupy-Demonstration am 1.6.2013 in Frankfurt a.M.

Die hessische CDU scheint es für ein Beispiel christlicher Nächstenliebe zu halten, Menschen, die für eine gerechte Welt demonstrieren, von der Polizei mit Knüppeln verprügeln und mit Pfefferspray verätzen zu lassen.Ich muss wohl meine Bibel nochmal lesen, denn ich hatte Jesus da irgendwie anders verstanden.

„Selig sind, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“

„Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heißen.“

Ich will nicht auf den Himmel warten. Und ich will nicht von einer Partei regiert werden, die das „C“ in ihrem Namen anscheinend nur noch zu Publicityzwecken für eine Politik der Gewalt und Ungerechtigkeit missbraucht.

Herr Bouffier hat jetzt gütig angekündigt, von den etwa 270000 in Hessen benötigten Sozialwohnungen sage und schreibe 2000 zu bauen. Danke! Vielleicht können sie die restlichen 268000 Familien auch gleich verprügeln lassen, das wäre ehrlicher, als sie weiter bei überteuerten Mieten in engen Wohnungen einzusperren.

Bei Paulus heißt es: „Es bleiben diese drei: Glaube, Liebe Hoffnung. Am höchsten aber ist die Liebe.“

Ich hoffe ja auf eine Weltwirtschaft, in der keine  Näher_innen in einstürzenden Schrott-Textilfabriken in Bangladesch zu Tode gequetscht werden, damit Frankfurter Bürger_innen auf der Zeil ihre Plastiktüten mit 9,90-Euro-Jeans vollstopfen können. Und ich glaube an eine Gesellschaft, die nach andern Prinzipien als Profitmaximierung und Konkurrenz bis aufs Blut funktioniert, nämlich nach den Prinzipien der Solidarität, der Freiheit und der offenen Kommunikation.

Von Liebe habe ich allerdings nicht mehr viel gespürt, als ich vor dem nigelnagelneuen Wasserwerfer der hessischen Polizei stand. Dazu hatte ich zuviel Angst. Und meine Mitdemonstrant_in mit der Beule am Kopf wird sich ihr T-Shirt mit dem Herzen vorne drauf und dem Slogan „reloveUtion“ hinten drauf das nächste Mal vielleicht auch nicht mehr anziehen.

Eines meiner Lieblingsbücher neben der Bibel ist ja das Grundgesetz der Bundesrepublik deutschland. Dort kannst du die folgenden verfassungsmäßigen Grundlagen unserer Staatsordnung nachlesen:

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. (Artikel 2)

Weiter heißt es ebenda:

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. (Artikel 20)

Wie würden Sie das 9stündige Festhalten von 1000Personen in einem Polizeikessel, ohne genügend Wasser oder eine Toilette allein mit der Begründung, einige der Eingekesselten hätten ein Tuch vor dem Mund gehabt und es seien Feuerwerkskörper geworfen worden, vor dem Hintergrund dieser Grundgesetzartikel beurteilen?

Schöne Grüße, Herr Bouffier, ich empfehle Ihnen wärmstens diese zwei Bücher:

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Autorenkollektiv.

Die Bibel. Verfasser nur teilweise bekannt.

In welcher Reihenfolge Sie sie lesen und welches ihnen wichtiger ist, ist mir egal.

 

Polizei erstickt Demonstrationsrecht mit Pfefferspray

Ein Medienspiegel zur Blockupy Demonstration am 1.6.2013

Ich war dabei. Stellt gerne Fragen per Mail.

 

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/blockupy-proteste-in-frankfurt-neun-stunden-im-kessel-1.1686594

 

http://www.hr-online.de/website/specials/extended/index.jsp?key=standard_document_48621415&jmpage=1&type=v&rubrik=81261&jm=1&mediakey=fs/hessenschau/130601195202_hs_blockupy_6990

 

http://ea-frankfurt.org/

 

http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt-live-ticker-stimmung-wird-immer-aggressiver,15402798,23082772,view,asFirstTeaser.html

 

http://www.fr-online.de/frankfurt/blockupy-frankfurt-ende-einer-demonstration,1472798,23093936.html

 

http://www.grundrechtekomitee.de/node/581

 

http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt-blockupy-tage-gehen-zuende,15402798,23090704.html

 

http://www.hr-online.de/website/specials/extended/index.jsp?rubrik=81261&key=standard_document_48633809

Das Geldrätsel, Brötchen und wann Freiheit erotisch ist

Geld ist ein Mysterium – wir wissen nicht genau, wie es funktioniert. Das trifft nicht nur auf diejenigen unter uns zu, die schlecht wirtschaften können, so wie ich. Fragen wir Ökonomen, wie die Geldwirtschaft funktioniert, werden wir sehr viele verschiedene Antworten bekommen, die sich nicht zu einem Ganzen fügen: Die letzte Erklärung liegt im Dunkeln. Ich persönlich glaube, dass geldbasierte Wirtschaft in letzter Konsequenz so etwas wie eine magische Praxis ist, die auf dem Glauben der Teilnehmer daran beruht, dass die Praxis funktioniert und ihre Richtigkeit hat. Geldwirtschaft ist eine Wirtschaft, die nicht auf Wissen beruht, die Aufklärung ist hier gescheitert. Wenn ich in der Bäckerei an meiner Ecke einen alten Mann ein Geldstück über die Theke reichen sehe, das die junge Bäckerin lächelnd annimmt und ihm daraufhin eine Tüte Brötchen hinüberreicht, dann sehe ich eine magische Verwandlung mit zwei Seiten: Das Geld hat sich in die Brötchen verwandelt und umgekehrt. Das funktioniert genau so lange, wie beide Tauschpartner daran glauben, dass diese Verwandlung das Normalste auf der Welt ist, was sich daran zeigt, dass sie praktisch darin vertrauen, dass der jeweils andere die Regeln der magischen Praxis kennt und einhält.

 

Dass sich überhaupt Geld in Brötchen verwandeln muss, wird durch das Recht auf Privateigentum notwendig: Hätte der Bäcker kein Eigentumsrecht an seinen Brötchen, könnte jeder die Brötchen im Laden einfach mitnehmen und müsste kein magisches Kaufritual vollziehen. Mit dem Privateigentum kommt das Problem auf, wie alle an Sachen kommen, die andere produzieren, ohne dass alles total umständlich ist und ich morgens erstmal dem Sohn des Bäckers Rechtschreibung beibringen muss, um mir meine Brötchen verdienen zu können, dann mittags für die Telekom Flugblätter verteilen, um meine Telefonkosten zu begleichen und abends noch schnell bei der Näherin das Fenster reparieren muss, damit ich mir eine neue Hose verdiene. Stellt man sich vor, dass Millionen von Leuten täglich so Arbeit tauschen, merkt man schnell, dass das auf ein Chaos von kosmischen Ausmaßen hinausläuft.

 

Zauberhafterweise hat deshalb jemand das Geld erfunden: Es begrenzt das Chaospotential des Privateigentums, so dass wir im Alltag erstmal klarkommen und mit einem universellen Tauschmittel ganz unterschiedliche Werte tauschen können. Den Wert einer Arbeitsstunde eines Schreiners tauschen wir gegen den einer Arbeitsstunde einer Buchhalterin und den gegen den Wert eines Goldnuggets, den irgendein lucky bastard im Fluss gefunden hat, wofür er nur den ganzen Tag die Beine lang machen und sich dann kurz bücken musste.

 

Das Problem ist jetzt, dass die Praxis des Geldbenutzens einen Riesennachteil hat: Eigentlich dient ja Geld dafür, unsere Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, ohne dass wir alles selbst können und machen müssen: Ich muss also nicht Nähen können, um mir den Wunsch nach einer neuen Hose erfüllen zu können, es reicht, wenn ich Kindern Rechtschreibung beibringe und den Lohn dafür für die Hose ausgebe. Geld befriedigt aber illusionärerweise noch einen weiteren Wunsch: Den Wunsch, sich alle Wünsche erfüllen zu können, die jemals auftauchen werden. Ottfried Höffe hat den Wunsch nach Geld deshalb einen Wunsch zweiter Ordnung genannt: Wir wünschen uns, ein Mittel zu haben, mit dem wir alle Wünsche erfüllen können.1

Scheinbar bietet ein solches Mittel uns eine Menge Freiheit, weil es sozusagen unspezifisch genug ist, um damit viele verschiedene Wünsche erfüllen zu können.

Ulrike Ackermann lobt dann auch einen vom Kapitalismus ermöglichten „Eros der Freiheit“.3 Sie will die Freiheiten des kapitalistischen Wirtschaftssystems gegen den Zwang zu Gleichheit und staatlicher Verwaltung verteidigen. Das finde ich erstmal richtig. Aber was ist eigentlich Freiheit? Der Philosoph Harry G. Frankfurt hat folgendes Konzept von Willensfreiheit: Den Willen von Personen bezeichnet er als Wunsch zweiter Ordnung: Was wir wollen, sei davon abhängig, welche Wünsche wir uns wünschen. Wer sich nicht bestimmte Wünsche aussuchen und andere vernachlässigen kann, ist nach Frankfurt ein „Wanten“, jemand, der von seinen eigenen Wünschen durch die Gegend getrieben wird und sich nicht vernünftig überlegen kann, was er machen will. Im Volksmund bezeichnet man solches Verhalten dann auch als „willenlos“. Manche Männer im Vollrausch graben zum Beispiel unter Missachtung aller guten Sitten Frauen sehr platt an, weil der Alkohol ihre Fähigkeit, sich bestimmte Wünsche wünschen zu können und andere nicht handlungswirksam werden zu lassen, ausgeknipst hat.

 

Jetzt hat der Willensbegriff nach Frankfurt einen riesigen Haken: Personen haben nämlich nicht nur Wünsche, sondern auch Bedürfnisse, zumindest, wenn sie Menschen sind und keine Computer oder Vulkanier wie Dr. Spock. Und Bedürfnisse kann man sich jetzt wünschen oder nicht wünschen, die hat man einfach. Die katholische Kirche experimentiert zum Beispiel seit Jahrhunderten damit, das Bedürfnis ihrer Priester nach Sex mit Wünschen zweiter Ordnung auszuschalten, hat dazu ausgefeilte Techniken der spirituellen Belohnung und drakonische Strafen ausprobiert, und alles, was dabei herausgekommen ist, sind eine Menge unglücklicher Leute und missbrauchte Ministranten. Frankfurts Modell der Willensfreiheit funktioniert also nur für Wünsche, die wir auch zurückstellen können, nicht für Bedürfnisse.

 

Zu diesen Bedürfnissen gehört meines Erachtens alles für das Überleben der Spezies Mensch notwendige: Zum Beispiel Essen, Sex und Schutz vor Krankheit und einer feindlichen Natur. Das unterdrückerische, repressive am Kapitalismus ist jetzt, dass manche Leute mit ihren Eigentumsrechten die Bedürfnisse anderer Leute ausnutzen können, um ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Sie können nämlich Geld mit Eigentumsrechten verdienen, die ihnen die Kontrolle über die Bedürfnisbefriedigung anderer Menschen geben, zum Beispiel an Brötchen, oder Wasser, oder Häusern. Deshalb machen sie die Bedürfnisse anderer Menschen zu Instrumenten für ihre Wünsche. Deshalb sind Märkte, auf denen Verträge über solche Dinge abgeschlossen werden, nicht frei, denn einige Menschen instrumentalisieren andere, um ihre Wünsche zu erfüllen.2 Diese Möglichkeit zur Unterdrückung nutzen nicht nur Aktienmillionäre aus, sondern auch Lotte Schlichter von nebenan, die bei KiK eine Hose für 9,90 kauft, die von einer 14jährigen Näherin in Bangladesch zu einem Stundenlohn von 3 Cent genäht wurde.

 

 

Das uns Geld als etwas erscheint, was frei macht, hat meiner Meinung nach folgenden Grund: Im Kapitalismus wird für uns das Geld zum Modell für unsere Freiheit: „Wer den Zweck will, will auch das Mittel“, hat Kant geschrieben. Wir wollen frei sein, also überlegen wir, welches Mittel wir brauchen, um diesen Wunsch erfüllen zu können. Dabei drängt sich Geld auf: Denn Geld ist wie unser Wille eine Struktur zweiter Ordnung: Der Wille ist die Fähigkeit, Wünsche wünschen oder nicht wünschen zu können, und Geld ist ein Instrument, mit dem wir alle anderen Instrumente herstellen können.

 

Nehmen wir an, ich wünsche mir eine Hose. Deshalb kaufe ich mir die Arbeitskraft von Profi-Näherinnen mit meinem Geld. Damit mache ich sie zu einem Instrument für meine Wünsche, aber so lange die den Deal freiwillig eingehen, ist das erstmal keine Unterdrückung. Die Unterdrückung fängt da an, wo ich die Bedürfnisse anderer Leute ausnutze, um sie zu zwingen, für meine Wünsche die Instrumente zu sein. Das Problem an Frankfurts Freiheitsbegriff und dem des Kapitalismus ist jetzt meiner Meinung nach, dass beide systematisch verdecken, dass Leute auf breiter Front die Tatsache, dass wir alle Bedürfnisse haben, die wir uns nicht aussuchen können, ausnutzen, um andere Leute auszubeuten. Wenn wir jetzt noch ein psychologisches Modell menschlicher Bedürfnisse einbeziehen, das von Maslow entwickelt worden ist, können wir sehen, dass selbst unsere scheinbare Freiheit im Reich der Wünsche bloß eine Scheinfreiheit wird, wenn der Kapitalismus voll auf alle Lebensbereiche durchschlägt: Maslow zufolge bauen bei Menschen folgende Bedürfnisse pyramidenförmig aufeinander auf: 1. Physiologische Grundbedürfnisse (Essen, Sex), 2. Bedürfnis nach Schutz, 3. Bedürfnis nach Gemeinschaft, 4. Bedürfnis nach Anerkennung, 5. Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.

 

Ich würde meine These von oben also insofern revidieren, als ich glaube, dass wir zwar, wie Frankfurt meint, wirklich teilweise frei zwischen Wünschen entscheiden können, aber dass wir das auf Ebene 1 und 2 von Maslows Bedürfnispyramide gar nicht, auf Ebene 3 vielleicht ein bisschen, auf Ebene 4 ein bisschen mehr und erst auf Ebene 5 dann ganz können. Da aber die unteren Ebenen Voraussetzung für Ebene 5 sind, wird unsere Freiheit als Person in einer Gesellschaft, die Bedürfnisse nutzt, um Profit zu generieren, immer wieder zunichte gemacht. Wenn mir zum 20. Mal die Selbstverwirklichung zusammenkracht, weil die Gesellschaft mein Bedürfnis nach Anerkennung nutzt, um mich zu Lohnarbeit zu zwingen, dann gebe ich vielleicht diese 5. Ebene irgendwann ganz auf. Und genau das passiert im Kapitalismus flächendeckend mit unserer Freiheit. Deshalb ist er ein unvernünftiges System, das nur funktioniert, solange wir alle glauben, mehr Geld bedeute mehr Freiheit. Die geldvermittelte Freiheit des Kapitalismus ist aber, weil sie die Bedürfnisse von Menschen zu deren Unterdrückung benutzt, ziemlich unerotisch. Echte Freiheit ist, da würde ich Ackermann zustimmen, tatsächlich erotisch. Aber echte Freiheit gibts nur dort, wo der Kapitalismus nicht herrscht.

 

1Ottfried Höffe: Lebenskunst und Moral. C.H. Beck.

2Vgl. Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

3Vgl. Ulrike Ackermann: Eros der Freiheit. C.H. Beck 2008.

Eure Rationormativität macht mir Angst

Ich habe mir von einer Freundin das Buch „Mystik und Widerstand“ von Dorothee Sölle ausgeliehen. Darin schreibt sie von der mystischen Praxis vieler Menschen, in der sie sich mit Gott vereinen und daraus die Kraft schöpfen, einer feindlichen Gesellschaft Widerstand entgegenzusetzen.

 

Jetzt ist das deswegen bemerkenswert, weil ich ja Philosophie und Politikwissenschaften studiert habe und deshalb sozusagen aus professionellen Gründen überzeugter Religionsgegner bin – zu meinem soziokulturellen Habitus gehören der Atheismus und eine skeptisch-vernichtende Haltung zur Religion frei nach Voltaire wie das Lila zur Milkakuh. Religion ist aus dieser meiner Sichtweise so etwas wie die rosa Brille, die sich alle aufsetzen, die zwar merken, wie beschissen die Welt ist, aber daran nichts ändern können oder wollen.

 

Trotzdem hatte ich kaum ein paar Seiten in dem Sölle-Buch gelesen, da habe ich plötzlich angefangen, Rotz und Wasser zu heulen – weil ich so unglaublich froh, erleichtert und gleichzeitig traurig war darüber, dass ich jemanden gefunden habe, der mir erklärt, wieso ich trotz des ganzen von Marx, Voltaire und meinen anderen Helden des geschriebenen Wortes gelernten Skeptizismus immer noch meditiere und in Kirchen so ein seltsames schönes, erhabenes Gefühl kriege, das sich auch nicht verkrümelt, wenn ich mir die tausenden Frondienstleistenden vorstelle, die die Bischöfe zum Steineschleppen gezwungen haben, um diese heiligen Hallen zu bauen.

 

Ja ja, ich weiß, die Kritik der Religion ist der Anfang jeder Kritik und so weiter, aber wisst ihr was: Ich pfeif auf die Kritik! Dorothee Sölle schreibt mir, dass wir Menschen auch innere Kraftquellen brauchen, um dieser sozialen Wirklichkeit nicht zu unterliegen, und ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass unser Verstand mit allen seinen kritischen Kräften dazu ausreicht. Da können wir alle drei Kritiken von Kant dreißigmal lesen, dass wir Angst haben, unseren Job zu verlieren, wenn wir streiken, können wir dann zwar gut beurteilen, es ist nämlich schlecht, aber der Mut, dagegen etwas zu tun, fließt uns bestimmt nicht bloß aus der Urteilskraft zu.

 

Mit das Beste am Verstand ist aber, dass er ständig neue Wörter lernen kann – ich habe zum Beispiel erst vor kurzem das Wort Heteronormativität gelernt. Damit meinen meine linken Freund_innen glaube ich die Einstellung vieler Menschen, Heterosexualität sei die „richtige“ Form von Sexualität und alle anderen Formen von Sexualität seien irgendwie abweichend, fremd und falsch.

 

Ich habe heute morgen beim Meditieren ein Wort gefunden, das ziemlich gut ausdrückt, warum ich bei der Sache mit der Religion so durcheinander bin – das Wort ist „Rationormativität“. Ich glaube, ich war so aufgewühlt, als ich das Buch von Dorothee Sölle las, weil es mich aus einem Denken befreit hat, das ich in der Schule und in der Uni, in meinem Elternhaus und in meiner linken Subkultur, die sich so viel auf ihre Freiheitsorientierung einbildet, aufgezwungen bekommen habe – das Denken, dass es richtig ist, die Welt mit dem Verstand zu begreifen und nach rationalen Erwägungen zu handeln und dass Emotionen, Gefühle, Phantasie und alle anderen inneren Quellen irgendwie „komisch“ „abweichend“, „falsch“ sind, irrational eben.

 

Jahrelang habe ich hart gearbeitet, um in Uniseminaren meine Gefühle unterdrücken und mich „auf die Sache“ konzentrieren zu können – bis ich selbst im Freundeskreis ständig in anstrengende Diskussionen über die richtige und falsche Kritik geraten bin.

 

Ich habe jetzt keine Lust mehr darauf und will diese ganze rationormative Blase nicht mehr mit aufpusten. Deshalb muss ich jetzt nicht gleich emotionormativ werden und Kant wegen seiner Elogen auf den preußischen König Friedrich den II., diesen Schlächter und Peiniger, wütend über die Jahrhunderte hinweg einen Vollidioten schimpfen. Oder vielleicht doch?  Vielleicht erklärt das Wort Rationormativität ganz gut, warum selbst ein so kritischer und verständiger Mensch wie Kant in Friedrich dem II. eben bloß den Aufklärer gesehen hat und nicht den gewalttätigen Unterdrücker.

Die Finanzkrise, Kojève und warum es gut ist, wenn ich keine Lust habe zu arbeiten

Ich bin heute krank und muss deshalb nicht arbeiten. Da ich aber Protestant bin und daher seit meiner Kindheit an den Gedanken gewöhnt wurde, dass ich durch Arbeit in den Himmel komme, habe ich meine durch Krankheit gewonnene freie Zeit gleich mal dazu genutzt, einen politisch-philosophischen Essay von Alexandre Kojeve durchzuarbeiten, den man von der Hoover.org Seite herunterladen kann.

 

In dem Artikel geht es darum, wie Frankreich es schaffen kann, seine politische Autonomie und die Werte seiner Zivilisation gegen verschiedene Imperien zu bewahren. Kojeve schlägt vor, ein „Empire Latin“ zu schaffen, dass neben Frankreich vor allem die katholisch geprägten südeuropäischen Länder am Mittelmeer umfasst, Italien und Spanien zum Beispiel.

 

Jetzt wundert sich vermutlich manche, und tatsächlich ist der Essay von Kojeve 1945 geschrieben worden. Das mit dem Empire Latin kannst du ad acta legen. Trotzdem stecken bedenklich aktuelle Erkenntnisse in dem Text. Zum Beispiel: Wäre ich kein deutscher Protestant, sondern ein katholischer Franzose, würde ich jetzt, statt diesen Blogbeitrag zu schreiben, wahrscheinlich mit einer schönen Frau ordentlich Rotwein trinken und dabei extrem gut angezogen sein.

 

Kojeve lobt die dem zugrundeliegenden Werte, vor allem die Wertschätzung der Muße, weil man sie braucht, um in Ruhe nachzudenken, und der Schönheit, und glaubt, dass diese von Aristoteles über die katholische Tradition ins moderne Frankreich transportiert wurden und gefälligst gegen die angelsächsich-germanische Arbeitswut verteidigt werden sollten. Ich stimme voll zu, tue mich aber praktisch etwas schwer mit der Umsetzung, wie du liest, weil ich nicht aufhören kann zu schreiben.

 

Jetzt ist es so, dass Aristoteles ein freier Bürger Athens war, und als solcher die Muße lobte, während etliche Sklaven in den Weinbergen geschuftet haben, damit der gute Aristoteles beim Philosohieren ordentlich Rotwein picheln konnte. Insofern würde ich vielleicht die protestantische, angelsächsisch-germanische Arbeitsethik jetzt zumindest als historischen Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft verteidigen und fühle mich auch gleich besser dabei, diesen Artikel weiterzuschreiben.

 

Gustav Seibt hat den Kojeve-Artikel ja nicht zufällig jetzt in der SZ mit einer Rezension bedacht – fast 70 Jahre nach dessen Entstehung. Kojeve hat nämlich etwas verblüffend früh vorausgesehen: Die deutsche Wirtschaft ist – unter anderem dank einer kapitalistisch geprägten, extremen Wertschätzung der Arbeit und des Sparens – im Gegensatz zu der Wirtschaft von Spanien, Italien und teilweise Frankreichs ziemlich krisenfest. Die deutsche Arbeitswut hat nämlich in den vergangenen Jahren die europäischen Nachbarländer in Grund und Boden konkurriert. Die dadurch gewonnene politische Macht nutzt der deutsche Staat, um sein Modell den europäischen Partnerstaaten aufzuzwingen. Und zu Recht sehen sich deshalb viele Spanier, Griechen und Italiener als Opfer einer imperialen Strategie, allerdings ist das Imperium sehr komplex und widersprüchlich, weil sich noch nicht mal Deutschland und Großbritannien, zwei neoliberal-kapitalistische Musterstaaten, auf eine gemeinsame Politik einigen können.

 

Jede imperiale Strategie nach außen braucht eine imperiale Strategie nach innen – und die drückt sich im Falle von mir und dem neoliberalen BRD-Kapitalismus darin aus, dass ich seit einem Jahr kein einziges Mal zu Hause geblieben bin, wenn ich krank war – auch wenn ich Rückenschmerzen hatte, die zu Schweißausbrüchen geführt und es fast unmöglich gemacht haben, an die Tafel zu schreiben und meine Schultasche zu tragen.

 

Zum Glück ist das alles nicht ganz so schlimm, weil ich außerdem im ganzen letzten Jahr jede Woche einmal Abends mit Freunden gut gegessen, Rotwein getrunken und ausführlich gequatscht habe – Arbeit hin oder her. Jede imperiale Strategie stößt auf Gegenstrategien.

Allerdings sind solche Abendessen jetzt für die zwangsgeräumten spanischen Familien, denen die Deutsche Bank ihre Häuser weggenommen hat, nicht besonders hilfreich, da kann ich noch so viel italienischen Rotwein dazu trinken.

Dank Kojeve weiß ich jetzt aber, was das schlechte Gewissen, das mich dauernd befällt, wenn ich mal die Beine lang mache und nicht arbeite, mit der politischen und kulturellen Lage in Europa zu tun hat – und dass es in Ordnung ist, öfters statt zu arbeiten auf meinem Sofa Kontemplation zu betreiben. Das Ergebnis meiner heutigen Kontemplation ist, dass es sinnvoll ist, sich weiter bei attac gegen die Hegemonie kapitalistischer Arbeitsvergötterung zu engagieren, auch wenn es zusätzliche Arbeit macht. Außerdem fühle ich mich dank der Beichtfunktion, die dieser Blog erfüllt, der mir gottlosen Protestanten einen katholischen Beichtstuhl ersetzt, befreit und kann zum Dolce-Far-Niente-Teil des Tages übergehen.

Au Relire!

 

 

Iron Errors

Maggie Thatcher, die Iron Lady, hat die Welt verändert. Bloß eben zum Schlechteren. Jetzt überschlägt sich Johann Schloemann in der SZ mit respektvollen Äußerungen, die den Grundtenor haben: „Na ja, sie hat es ein bisschen übertrieben mit dem Neoliberalismus, aber im Prinzip war das schon richtig.“

Das ist ungefähr so, als würde ein Chirurg einem Patienten das falsche Bein amputieren, und der Pressesprecher des Krankenhauses sagt hinterher: „Ja, es ist ein kleiner Fehler passiert, aber im Prinzip war die Operation richtig.“

Off-Brain

Ich habe vor kurzem das Buch „Postwachstum“ von attac gelesen. Darin steht, dass unser Kapitalismus gerade den Kollaps des globalen Ökosystems verursacht. Gut, zum Ausgleich für diese unangenehme Lage gibt uns der Kapitalismus Flachbildschirme, auf denen wir den Weltuntergang live und in Farbe miterleben können. Quasi als wären wir selbst dabei.

Manche kaufen jetzt schon große Geländewagen mit Allradantrieb, obwohl sie nur auf gut geteerten Straßen fahren. Würden alle Off-Road-geeigneten Wagen auch off road fahren, man könnte im Wald nirgends mehr spazierengehen. Warum kaufen viele Leute trotzdem teure Off-Road-Autos, obwohl sie nur On-Road fahren? Ich glaube, weil sie noch nicht zu 100 Prozent abgestumpft sind, sondern nur zu 99 Prozent. Mit dem verbliebenen 1 Prozent Sensibilität für ihre Umwelt registrieren sie, dass irgendetwas in die apokalyptische Richtung läuft. Aber das eine Prozent Sensibilität versorgt sie nicht mit genügend Information, um sinnvolle Aktionen daraus schlussfolgern zu können. Also kaufen sie Off-Road-Autos, weil sie insgeheim hoffen, auch nach der Apokalypse damit trotz überschwemmter Straßen, verschütterter Täler und weggespülter Brücken noch zum Bäcker Brötchen holen fahren zu können. Off-Road. Ich bin gespannt, wann die ersten Off-Brain-Produkte herauskommen. Wahrscheinlich werden das Apps fürs Iphone sein, die für den Benutzer vollautomatische Entscheidungen treffen. Du weißt nicht, welches die richtigen Freunde für Dich sind? Nutze die neue Off-Brain-App von Quasimento. Entscheidungen jetzt noch schneller. Im Unterschied zu herkömmlichen Apps der Konkurrenz wertet Quasimento 20 Milliarden Internetseiten nicht mehr nur in 20, sondern in sagenhaften 0,2 Millisekunden aus und findet für Dich die passenden Freunde.

Als kleine Gratis-Dienstleistung verrät Dir Quasimento außerdem, wie Du die vollautomatisch ausgewählten Freunde für Dich gewinnen kannst. Zufälligerweise wird die App, egal welche Freunde sie aus den Millionen Usern herausgefiltert hat, mit 50 % Wahrscheinlichkeit zum Kauf eines Off-Road-Wagens raten, weil gerade diese potentiellen Freunde total auf solche Wagen abfahren. In den anderen 50 % der Fälle rät die App dazu, die Wunschfreunde mit einem 3000 Zoll Flachbildschirm zu beeindrucken.

Unglückliche Liebe, der Kapitalismus und ich

Eva Illouz hat mich überzeugt: Durch die Art, wie die kapitalistische Gesellschaft unsere Gefühle, insbesondere Liebe, formt, sind die meisten Frauen schlechter dran als die meisten Männer. Mehr noch: Ich war froh, endlich eine soziologische Erklärung für das verletzende Verhalten mancher Frauen, die ich geliebt habe, zu lesen. Dass die Gleichberechtigung der Geschlechter den paradoxen Effekt hat, dass Frauen, die sich eine Familie wünschen, zugleich die Autonomie nutzen, die ihnen die neuen Beziehungsmärkte eröffnen, gleichzeitig aber durch ihre biologische Uhr gezwungen werden, die Rolle der anhänglichen und beziehungsorientierten Frau zu spielen, hat mir viele vorher schmerzhaft unverständliche, weil paradoxe Verhaltensweisen von ehemaligen Partnerinnen erklärt.

 

Was mich an Illouz Buch aber geärgert hat, war, dass ich bei ihrer Analyse der Erfahrungen von Frauen oft gedacht habe: Ja, genau, so geht es mir auch. Ich hatte zwar auch die von Illouz analysierte eher männliche Bindungsangst, dennoch kommen viele meiner emotionalen Erfahrungen im Buch ausschließlich als Erfahrungen von Frauen vor. Illouz schreibt: „Die Frauen, die „zu sehr lieben“, trifft die Schuld, das ökonomische Kalkül nicht zu verstehen.“1 Da Beziehungen als Verträge gesehen werden, und Zuneigung deshalb in der Form des Tauschs ausgeglichen sein sollte, leiden demzufolge diese Frauen, weil sie die Ökonomie der Liebesbekundungen unterlaufen und mehr Liebe schenken, als sie in einer Tauschbeziehung geben müssten. Damit vermindern sie aber den Wert ihrer Liebesbekundungen und machen sich damit unattraktiver für den beschenkten Partner. Als Mann, der auch immer wieder „zu sehr geliebt“ hat, fühle ich mich von Illouz statistisch weggemittelt. Das schlimme ist, dass ich diese Mechanismen der Liebesökonomie zwar erkannt habe, aber trotzdem hilflos gezwungen war, ihnen zuwiderzuhandeln, obwohl ich wusste, dass mich das in eine schlechtere Marktposition bringt. Illouz erklärt dies mit dem Wunsch nach Anerkennung, die für den Selbstwert gebraucht wird. Ich habe mich also verhalten wie all die Hausbesitzer in den USA, die ihre Häuser verkauft haben, obwohl deren Preise sanken, und damit die Preise noch weiter gesenkt haben. Die Krux an der Sache ist nur: Ich hatte nicht das Gefühl, eine Wahl zu haben, und zwar obwohl ich wusste, dass es erfolgversprechender wäre, meine Liebe zu portionieren und erstmal nur als Appetizer auf den Markt zu werfen. Ich bin genau wie viele Frauen daran gescheitert, Autonomie und Anerkennung in Beziehungen miteinander zu vereinbaren. Dass ich als Mann mehr Macht als Frauen habe, zu definieren, was wertvoll ist, nützt mir aber nichts, weil für mich diese Macht auszuüben auch heißt, aus meiner Liebe ein Machtspiel zu machen. Was ich nicht möchte.

 

Sicher ist es die Krux einer soziologischen Analyse, die gesellschaftliche Entwicklungsprozesse beschreibt und erklärt, nicht jedes soziale Phänomen behandeln zu können. Auch so habe ich aus Illouz Buch viel über die soziale Prägung meiner Gefühle gelernt, und wenn ich dazu oft Sätze, die anfangen „Viele Frauen…“ innerlich ergänzen musste mit „…und viele Männer….“, so ist das ein wesentlich geringeres Übel, als sozialen Prozessen einfach blind ausgeliefert zu sein, die mich unglücklich gemacht haben, wie es vor der Lektüre war.

 

Aber trotzdem fehlt mir in Illouz Buch eine Reflexion darüber, welchen Widersprüchen gerade die Männer ausgeliefert sind, die eigentlich aus feministischer Sicht die Partner abgeben können, mit denen gemeinsam Frauen der Herrschaft des Kapitalismus über die Gefühle ein Ende bereiten können.

 

Von Männern wird oft erwartet, dass sie mit einer ganzen Ladung alter und neuer Rollenfragmente jonglieren: Mal sollen Männer Kavaliere sein, mal aufregende Sexabenteurer, mal fürsorgliche und verständnisvolle Softies, dann wieder knallhart selbstbewusste Machtstrategen, auf deren Entscheidungskraft Verlass ist, dann wieder naive kleine Jungen, die sich für Neues begeistern können, dann sollen sie feministisch reflektiert an die Beziehung herangehen und im nächsten Moment den dominanten Lover geben. Ja, was denn nun? Wenn manche Männer es schaffen, mit diesen ganzen Verhaltensweisen erfolgreich zu jonglieren, bekommen sie kurz Applaus. Geht es schief, und die Rollenfragmente verwandeln sich in einen unzusammenhängenden Kladderadatsch, werden die Männer entweder bestraft, ausgelacht, bemitleidet, wohlmeinend von oben herab behandelt oder schlicht ignoriert.

 

Aus der Sicht vieler Männer ist die Situation also auch ziemlich übel: Frauen verlangen von ihnen, zugleich die Autonomie der Frauen zu respektieren, ihre männliche Autonomie unter Beweis zu stellen, inklusive ihrer Macht auf dem sexuellen Markt, und trotzdem verlässliche, fürsorgliche und nette Partner zu sein.

 

Es wäre gut, die Herrschaft des Kapitalismus über die Gefühle als etwas zu verstehen, was Männer und Frauen ständig neu erzeugen, und sich endlich gemeinsam zu weigern, dieses Spiel mitzuspielen. Dazu sollten Feministinnen deutlicher als Illouz die Bemühungen vieler Männer anerkennen, die Art, wie sie lieben, von der Macht des Kapitalismus und des Patriarchats freizuhalten.

 

1Illouz, Eva: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012. S. 259.