Das Geldrätsel, Brötchen und wann Freiheit erotisch ist

Geld ist ein Mysterium – wir wissen nicht genau, wie es funktioniert. Das trifft nicht nur auf diejenigen unter uns zu, die schlecht wirtschaften können, so wie ich. Fragen wir Ökonomen, wie die Geldwirtschaft funktioniert, werden wir sehr viele verschiedene Antworten bekommen, die sich nicht zu einem Ganzen fügen: Die letzte Erklärung liegt im Dunkeln. Ich persönlich glaube, dass geldbasierte Wirtschaft in letzter Konsequenz so etwas wie eine magische Praxis ist, die auf dem Glauben der Teilnehmer daran beruht, dass die Praxis funktioniert und ihre Richtigkeit hat. Geldwirtschaft ist eine Wirtschaft, die nicht auf Wissen beruht, die Aufklärung ist hier gescheitert. Wenn ich in der Bäckerei an meiner Ecke einen alten Mann ein Geldstück über die Theke reichen sehe, das die junge Bäckerin lächelnd annimmt und ihm daraufhin eine Tüte Brötchen hinüberreicht, dann sehe ich eine magische Verwandlung mit zwei Seiten: Das Geld hat sich in die Brötchen verwandelt und umgekehrt. Das funktioniert genau so lange, wie beide Tauschpartner daran glauben, dass diese Verwandlung das Normalste auf der Welt ist, was sich daran zeigt, dass sie praktisch darin vertrauen, dass der jeweils andere die Regeln der magischen Praxis kennt und einhält.

 

Dass sich überhaupt Geld in Brötchen verwandeln muss, wird durch das Recht auf Privateigentum notwendig: Hätte der Bäcker kein Eigentumsrecht an seinen Brötchen, könnte jeder die Brötchen im Laden einfach mitnehmen und müsste kein magisches Kaufritual vollziehen. Mit dem Privateigentum kommt das Problem auf, wie alle an Sachen kommen, die andere produzieren, ohne dass alles total umständlich ist und ich morgens erstmal dem Sohn des Bäckers Rechtschreibung beibringen muss, um mir meine Brötchen verdienen zu können, dann mittags für die Telekom Flugblätter verteilen, um meine Telefonkosten zu begleichen und abends noch schnell bei der Näherin das Fenster reparieren muss, damit ich mir eine neue Hose verdiene. Stellt man sich vor, dass Millionen von Leuten täglich so Arbeit tauschen, merkt man schnell, dass das auf ein Chaos von kosmischen Ausmaßen hinausläuft.

 

Zauberhafterweise hat deshalb jemand das Geld erfunden: Es begrenzt das Chaospotential des Privateigentums, so dass wir im Alltag erstmal klarkommen und mit einem universellen Tauschmittel ganz unterschiedliche Werte tauschen können. Den Wert einer Arbeitsstunde eines Schreiners tauschen wir gegen den einer Arbeitsstunde einer Buchhalterin und den gegen den Wert eines Goldnuggets, den irgendein lucky bastard im Fluss gefunden hat, wofür er nur den ganzen Tag die Beine lang machen und sich dann kurz bücken musste.

 

Das Problem ist jetzt, dass die Praxis des Geldbenutzens einen Riesennachteil hat: Eigentlich dient ja Geld dafür, unsere Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, ohne dass wir alles selbst können und machen müssen: Ich muss also nicht Nähen können, um mir den Wunsch nach einer neuen Hose erfüllen zu können, es reicht, wenn ich Kindern Rechtschreibung beibringe und den Lohn dafür für die Hose ausgebe. Geld befriedigt aber illusionärerweise noch einen weiteren Wunsch: Den Wunsch, sich alle Wünsche erfüllen zu können, die jemals auftauchen werden. Ottfried Höffe hat den Wunsch nach Geld deshalb einen Wunsch zweiter Ordnung genannt: Wir wünschen uns, ein Mittel zu haben, mit dem wir alle Wünsche erfüllen können.1

Scheinbar bietet ein solches Mittel uns eine Menge Freiheit, weil es sozusagen unspezifisch genug ist, um damit viele verschiedene Wünsche erfüllen zu können.

Ulrike Ackermann lobt dann auch einen vom Kapitalismus ermöglichten „Eros der Freiheit“.3 Sie will die Freiheiten des kapitalistischen Wirtschaftssystems gegen den Zwang zu Gleichheit und staatlicher Verwaltung verteidigen. Das finde ich erstmal richtig. Aber was ist eigentlich Freiheit? Der Philosoph Harry G. Frankfurt hat folgendes Konzept von Willensfreiheit: Den Willen von Personen bezeichnet er als Wunsch zweiter Ordnung: Was wir wollen, sei davon abhängig, welche Wünsche wir uns wünschen. Wer sich nicht bestimmte Wünsche aussuchen und andere vernachlässigen kann, ist nach Frankfurt ein „Wanten“, jemand, der von seinen eigenen Wünschen durch die Gegend getrieben wird und sich nicht vernünftig überlegen kann, was er machen will. Im Volksmund bezeichnet man solches Verhalten dann auch als „willenlos“. Manche Männer im Vollrausch graben zum Beispiel unter Missachtung aller guten Sitten Frauen sehr platt an, weil der Alkohol ihre Fähigkeit, sich bestimmte Wünsche wünschen zu können und andere nicht handlungswirksam werden zu lassen, ausgeknipst hat.

 

Jetzt hat der Willensbegriff nach Frankfurt einen riesigen Haken: Personen haben nämlich nicht nur Wünsche, sondern auch Bedürfnisse, zumindest, wenn sie Menschen sind und keine Computer oder Vulkanier wie Dr. Spock. Und Bedürfnisse kann man sich jetzt wünschen oder nicht wünschen, die hat man einfach. Die katholische Kirche experimentiert zum Beispiel seit Jahrhunderten damit, das Bedürfnis ihrer Priester nach Sex mit Wünschen zweiter Ordnung auszuschalten, hat dazu ausgefeilte Techniken der spirituellen Belohnung und drakonische Strafen ausprobiert, und alles, was dabei herausgekommen ist, sind eine Menge unglücklicher Leute und missbrauchte Ministranten. Frankfurts Modell der Willensfreiheit funktioniert also nur für Wünsche, die wir auch zurückstellen können, nicht für Bedürfnisse.

 

Zu diesen Bedürfnissen gehört meines Erachtens alles für das Überleben der Spezies Mensch notwendige: Zum Beispiel Essen, Sex und Schutz vor Krankheit und einer feindlichen Natur. Das unterdrückerische, repressive am Kapitalismus ist jetzt, dass manche Leute mit ihren Eigentumsrechten die Bedürfnisse anderer Leute ausnutzen können, um ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Sie können nämlich Geld mit Eigentumsrechten verdienen, die ihnen die Kontrolle über die Bedürfnisbefriedigung anderer Menschen geben, zum Beispiel an Brötchen, oder Wasser, oder Häusern. Deshalb machen sie die Bedürfnisse anderer Menschen zu Instrumenten für ihre Wünsche. Deshalb sind Märkte, auf denen Verträge über solche Dinge abgeschlossen werden, nicht frei, denn einige Menschen instrumentalisieren andere, um ihre Wünsche zu erfüllen.2 Diese Möglichkeit zur Unterdrückung nutzen nicht nur Aktienmillionäre aus, sondern auch Lotte Schlichter von nebenan, die bei KiK eine Hose für 9,90 kauft, die von einer 14jährigen Näherin in Bangladesch zu einem Stundenlohn von 3 Cent genäht wurde.

 

 

Das uns Geld als etwas erscheint, was frei macht, hat meiner Meinung nach folgenden Grund: Im Kapitalismus wird für uns das Geld zum Modell für unsere Freiheit: „Wer den Zweck will, will auch das Mittel“, hat Kant geschrieben. Wir wollen frei sein, also überlegen wir, welches Mittel wir brauchen, um diesen Wunsch erfüllen zu können. Dabei drängt sich Geld auf: Denn Geld ist wie unser Wille eine Struktur zweiter Ordnung: Der Wille ist die Fähigkeit, Wünsche wünschen oder nicht wünschen zu können, und Geld ist ein Instrument, mit dem wir alle anderen Instrumente herstellen können.

 

Nehmen wir an, ich wünsche mir eine Hose. Deshalb kaufe ich mir die Arbeitskraft von Profi-Näherinnen mit meinem Geld. Damit mache ich sie zu einem Instrument für meine Wünsche, aber so lange die den Deal freiwillig eingehen, ist das erstmal keine Unterdrückung. Die Unterdrückung fängt da an, wo ich die Bedürfnisse anderer Leute ausnutze, um sie zu zwingen, für meine Wünsche die Instrumente zu sein. Das Problem an Frankfurts Freiheitsbegriff und dem des Kapitalismus ist jetzt meiner Meinung nach, dass beide systematisch verdecken, dass Leute auf breiter Front die Tatsache, dass wir alle Bedürfnisse haben, die wir uns nicht aussuchen können, ausnutzen, um andere Leute auszubeuten. Wenn wir jetzt noch ein psychologisches Modell menschlicher Bedürfnisse einbeziehen, das von Maslow entwickelt worden ist, können wir sehen, dass selbst unsere scheinbare Freiheit im Reich der Wünsche bloß eine Scheinfreiheit wird, wenn der Kapitalismus voll auf alle Lebensbereiche durchschlägt: Maslow zufolge bauen bei Menschen folgende Bedürfnisse pyramidenförmig aufeinander auf: 1. Physiologische Grundbedürfnisse (Essen, Sex), 2. Bedürfnis nach Schutz, 3. Bedürfnis nach Gemeinschaft, 4. Bedürfnis nach Anerkennung, 5. Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.

 

Ich würde meine These von oben also insofern revidieren, als ich glaube, dass wir zwar, wie Frankfurt meint, wirklich teilweise frei zwischen Wünschen entscheiden können, aber dass wir das auf Ebene 1 und 2 von Maslows Bedürfnispyramide gar nicht, auf Ebene 3 vielleicht ein bisschen, auf Ebene 4 ein bisschen mehr und erst auf Ebene 5 dann ganz können. Da aber die unteren Ebenen Voraussetzung für Ebene 5 sind, wird unsere Freiheit als Person in einer Gesellschaft, die Bedürfnisse nutzt, um Profit zu generieren, immer wieder zunichte gemacht. Wenn mir zum 20. Mal die Selbstverwirklichung zusammenkracht, weil die Gesellschaft mein Bedürfnis nach Anerkennung nutzt, um mich zu Lohnarbeit zu zwingen, dann gebe ich vielleicht diese 5. Ebene irgendwann ganz auf. Und genau das passiert im Kapitalismus flächendeckend mit unserer Freiheit. Deshalb ist er ein unvernünftiges System, das nur funktioniert, solange wir alle glauben, mehr Geld bedeute mehr Freiheit. Die geldvermittelte Freiheit des Kapitalismus ist aber, weil sie die Bedürfnisse von Menschen zu deren Unterdrückung benutzt, ziemlich unerotisch. Echte Freiheit ist, da würde ich Ackermann zustimmen, tatsächlich erotisch. Aber echte Freiheit gibts nur dort, wo der Kapitalismus nicht herrscht.

 

1Ottfried Höffe: Lebenskunst und Moral. C.H. Beck.

2Vgl. Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

3Vgl. Ulrike Ackermann: Eros der Freiheit. C.H. Beck 2008.

Ein exklusiver Club braucht eine exklusive Logik – am besten eine, die den gesunden Menschenverstand ausschließt

Philipp Gassert stellt in der SZ Studiengebühren als gerecht dar, weil sie die einkommensstarken Familien träfen, deren Kinder sehr viel häufiger studieren als Arbeiter_innenkinder.

Wenn Gassert wirklich ein sozial gerechteres Bildungssystem will, warum fordert er dann nicht eine Vermögenssteuer und einen höheren Spitzensteuersatz? Das damit eingenommene Geld kann in die notleidenden Unis und in Stipendien für Arbeiter_innenkinder gesteckt werden. Dann wird unser Hochschulwesen besser und sozial ausgewogener.

Gassert fordert stattdessen Studiengebühren. Diese machen es den einkommensschwachen Familien aber noch schwerer, ihre Kinder auf die Uni zu schicken.

Gasserts Logik lässt sich so illustrieren: 7 junge Menschen gründen einen Leseclub. Leider ist nur einer von den 7 ein Hauptschüler aus einer einkommensschwachen Familie. Zum Glück ist Herr Gassert mit seinem scharfen Verstand und seinem sozialpolitischen Überblick zugegen und weiß die Lösung: Der Club soll seinen Mitgliedsbeitrag verdoppeln. Mit dem Geld sollen bessere Bücher angeschafft werden. Der Hauptschüler war aber mit dem bisherigen Mitgliedsbeitrag schon an seinen finanziellen Grenzen. Und nun die Preisfrage: Wieviele einkommensschwache Hauptschüler sind Mitglieder des Clubs, wenn Gasserts Rat befolgt wird?

Wo hat Herr Gassert eigentlich studiert? Und wer hat ihm diese Art zu Denken beigebracht? Und wer hat den dafür bezahlt? Wahrscheinlich die Kassiererin, die Gassert als Kronzeugin für sein Studiengebührenplädoyer aufruft. Wie wäre es, wenn wir der Kassiererin die Lohnsteuer erlassen, wenn ihre Kinder aufs Gymnasium und auf die Uni gehen? Von mir aus können wir dann auch den erlassenen Lohnsteuerbetrag als Studiengebühren erheben. Allerdings nur, wenn die Studierenden selbst entscheiden können, ob diese Gebühren Ideologen wie Herrn Gassert zugute kommen oder Lehrenden, die ihren gesunden Menschenverstand noch nicht an der Kasse abgegeben haben.

 

Kapitalismus ist analysierbar, Herr Nachbar

Kommentar zu Andreas Zielcke: „Das Monster in uns“ SZ Nr 40, Samstag/Sonntag, den 16./17.2013, S. 13.

Meines Erachtens ist die feuilletonistische Kapitalismuskritik von Zielcke der verzweifelte Versuch, den offensichtlich und unverdrängbar gewordenen Krisen des aktuellen Kapitalismus Herr zu werden, ohne sich aus seinem bildungsbürgerlichen und liberal-konservativen Dunstkreis herausbewegen zu müssen. Denn eines ist ja klar: Die Linken können nicht recht haben. Sie kritisieren den Kapitalismus zwar schon seit zweihundert Jahren, sind aber Schuld an Stalin und deshalb aus moralischen Gründen als nicht erkenntnisfähig zu betrachten.

Wer den Kapitalismus „intuitiv und heuristisch“ statt analytisch kritisiert, wie das nach Zielcke der FAZ-Autor Frank Schirrmacher in seinem Buch „Ego“ tut, der kommt logischerweise am Ende bei dem Irrtum heraus, die „Scheinrationalität“ des Kapitalismus sei „nicht zu verstehen“.

Natürlich kann man den Kapitalismus nicht verstehen, wenn man nicht von der Ausbeutung der Arbeitenden reden will, und stattdessen über die zerstörerische Wirkung von Informationsmaschinen auf das Sinnverstehen und die Destruktion von Gemeinschaft und Loyalität durch das Menschenbild des homo oeconomicus lange Artikel schreibt.

Sicher haben Schirrmacher und Zielcke mit diesen Thesen vollkommen recht, sie vertauschen nur Ursache und Wirkung. Die Modelle der Wirtschaftstheorie wie rational choice, Spieltheorie und homo oeconomicus sind nicht die Ursachen für die Pathologien des Kapitalismus, sie sind Lösungsversuche für Probleme innerhalb der kapitalistischen Logik. Genauer gesagt sind es Versuche, das Problem zu lösen, dass wirtschaftliche Interaktionen wie Kreditvergaben, Kaufverträge oder Firmenfusionen in einem entgrenzten und freien Marktraum für die Akteure stets gefährlich sind, weil die anderen Akteure zu einem hohen Grad unberechenbar sind. Die ökonomischen Modelle sollen den Akteuren die Berechnung der anderen Marktteilnehmenden ermöglichen.

Aber wo Konkurrenzdruck immer weiter steigt und ökonomischer Erfolg zum wichtigsten Prinzip wird, funktioniert ironischerweise selbst der Marktmechanismus nicht mehr, der zu diesem Zustand erst geführt hat. Axel Honneth vertritt in „Das Recht der Freiheit“ die These, dass Märkte sich auf vorgängige soziale Normen stützen müssen, die sie zu ihrem Funktionieren brauchen, aber selbst nicht herstellen können. Wo nur der Gewinn zählt, wird mit dem Informationsmangel der anderen Marktteilnehmenden Geld verdient. Es gewinnen diejenigen, die mit Erfolg Informationspolitik betreiben. Das gezielte Verschweigen und Verfälschen von Informationen wird so zur Erfolgsstrategie, aber da jeder weiß, dass das so ist, kann niemand absehen, was er alles nicht weiß und wem er worin trauen kann. Genau das führte zur Verschärfung der Finanzkrise, als keine Bank mehr der anderen traute. Aber es verursachte sie nicht.

Genau die Marktfreiheit, die Honneth als dritte Freiheitssphäre neben Politik und persönlichen Beziehungen bezeichnet, ist nämlich meiner Ansicht nach eine Hauptursache für die aktuelle Krise: Begonnen hatte diese mit der Hypothekenkrise in den USA, weil dort die Häuserpreise so stark fielen, dass die Preisprognosen, auf denen die Hypothekenkredite basierten, sich als völlig falsch entpuppten. Die Preisbildung auf entgrenzten Märkten führt regelmäßig zu Preisen, die mit dem realen Bedarf an Gütern und Dienstleistungen kaum noch etwas zu tun haben. Das widerum hängt damit zusammen, dass Geldkapital so konzentriert in wenigen Händen ist, dass Geld nicht mehr in erster Linie für die Befriedigung von Bedürfnissen ausgegeben wird, sondern vor allem für das Erwirtschaften von noch mehr Geld. Der reale Bedarf an Wohnraum in den USA wurde daher durch die Häuserpreise nicht realistisch abgebildet, weder, als die Häuser viel zu teuer, noch, als die Häuser viel zu billig wurden.

Die andere Seite der Irrationalität der Märkte ist die Abkopplung der Preise der Produkte von der Arbeit, die zu ihrer Herstellung nötig ist. Wie viel Arbeit für ein Produkt notwendig ist, spiegelt sich in Zeiten des Lohndumpings in den Nähfabriken Asiens einerseits und der aberwitzigen Steigerung von Managerboni in Europa andererseits in den Preisen nicht mehr wieder. Auch diese Abkopplung führt zu unvorhersehbaren Geldströmen und damit zu Krisen. Wären die Einkommen gerechter auf die unterschiedlichen Arbeitsformen verteilt, würden sich die Geldströme berechenbarer bewegen.

Wenn der Großteil der Menschheit nicht mehr oder kaum noch in der Lage ist, durch Arbeit die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, während eine Minderheit immer ausgefeiltere Bedürfnisse entwickelt, die so wenig zwingend und so diversifiziert sind, dass jeder sich schnell für ein anderes Produkt entscheiden kann, sobald der Trend vom Ipod zur handgestrickten Weste umschwingt, gibt es eine logische Tendenz zu Instabilität. Die Abkopplung der Preise von den realen Bedürfnissen und von der Arbeit verstärken sich außerdem phasenweise gegenseitig. Die kapitalistische Form der Marktwirtschaft ist aus strukturellen Gründen die Permanenz der Krise. Nach Fernand Braudel gibt es aber auch eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. Folgende Probleme müssen gelöst werden, um eine solche Marktwirtschaft zu etablieren:

1. Reichtum und Marktmacht sind sowohl zwischen Regionen als auch zwischen sozialen Gruppen zu ungleich verteilt. Das führt zu einer Reihe von Instabilitäten (dysfunktionale Konzentration von Kapital in wenigen Händen, Nachfrageprobleme, politische und soziale Konflikte, starke Abhängigkeiten, extreme Preisschwankungen).

2. Die Märkte sind nicht transparent. Märkte funktionieren optimal, wenn allen Teilnehmenden alle Informationen zugänglich sind. Das ist nicht der Fall. Dies führt zu Vertrauensverlust, systematischem Betrug und Instabilität (Over the Counter-Geschäfte, komplexe Finanzprodukte, undurchschaubare Waren- und Geldströme).

3. Die Märkte sind rechtlich nicht gut reguliert und die demokratischen Strukturen sind nicht so internationalisiert sind wie die Konzerne. (Fragmentierter internationaler Rechtsraum, mangelnde Rechtsvorschriften, Konkurrenz unter den Nationen).

4. Die Politik wird zu oft von Kapitalinteressen beherrscht, statt sich am Allgemeininteresse zu orientieren. (Mangelnde Besteuerung von Großkonzernen und großen Vermögen, Ausverkauf von staatlichen Garantien für Güter wie Bildung, Wohnen, Wasser- und Stromversorgung, Gesundheit).

Alle diese Merkmale kapitalistischer Marktwirtschaft lassen sich politisch beseitigen. Aber sie lassen sich weder beseitigen, indem man nur das kapitalistische Menschenbild kritisiert, noch durch Reaktivierung von „Loyalität und Gemeinschaft“ (schließlich will ich nicht mehr zu meinem Gutsherren und meinem Pfarrer gehen und um Erlaubnis fragen müssen, wenn ich heiraten will).

Das Schirrmacher nach Zielcke zu Pessimismus neigt, wundert mich nicht. Wahrscheinlich merkt er, dass seine Kapitalismuskritik nicht zu realistischen praktischen Konsequenzen führt. Das liegt an seinem idealistischen Fokus: Anderes Denken alleine wird die Destruktivität des Kapitalismus nicht aufhalten. Politische Kämpfe können sie aufhalten.

 

Unglückliche Liebe, der Kapitalismus und ich

Eva Illouz hat mich überzeugt: Durch die Art, wie die kapitalistische Gesellschaft unsere Gefühle, insbesondere Liebe, formt, sind die meisten Frauen schlechter dran als die meisten Männer. Mehr noch: Ich war froh, endlich eine soziologische Erklärung für das verletzende Verhalten mancher Frauen, die ich geliebt habe, zu lesen. Dass die Gleichberechtigung der Geschlechter den paradoxen Effekt hat, dass Frauen, die sich eine Familie wünschen, zugleich die Autonomie nutzen, die ihnen die neuen Beziehungsmärkte eröffnen, gleichzeitig aber durch ihre biologische Uhr gezwungen werden, die Rolle der anhänglichen und beziehungsorientierten Frau zu spielen, hat mir viele vorher schmerzhaft unverständliche, weil paradoxe Verhaltensweisen von ehemaligen Partnerinnen erklärt.

 

Was mich an Illouz Buch aber geärgert hat, war, dass ich bei ihrer Analyse der Erfahrungen von Frauen oft gedacht habe: Ja, genau, so geht es mir auch. Ich hatte zwar auch die von Illouz analysierte eher männliche Bindungsangst, dennoch kommen viele meiner emotionalen Erfahrungen im Buch ausschließlich als Erfahrungen von Frauen vor. Illouz schreibt: „Die Frauen, die „zu sehr lieben“, trifft die Schuld, das ökonomische Kalkül nicht zu verstehen.“1 Da Beziehungen als Verträge gesehen werden, und Zuneigung deshalb in der Form des Tauschs ausgeglichen sein sollte, leiden demzufolge diese Frauen, weil sie die Ökonomie der Liebesbekundungen unterlaufen und mehr Liebe schenken, als sie in einer Tauschbeziehung geben müssten. Damit vermindern sie aber den Wert ihrer Liebesbekundungen und machen sich damit unattraktiver für den beschenkten Partner. Als Mann, der auch immer wieder „zu sehr geliebt“ hat, fühle ich mich von Illouz statistisch weggemittelt. Das schlimme ist, dass ich diese Mechanismen der Liebesökonomie zwar erkannt habe, aber trotzdem hilflos gezwungen war, ihnen zuwiderzuhandeln, obwohl ich wusste, dass mich das in eine schlechtere Marktposition bringt. Illouz erklärt dies mit dem Wunsch nach Anerkennung, die für den Selbstwert gebraucht wird. Ich habe mich also verhalten wie all die Hausbesitzer in den USA, die ihre Häuser verkauft haben, obwohl deren Preise sanken, und damit die Preise noch weiter gesenkt haben. Die Krux an der Sache ist nur: Ich hatte nicht das Gefühl, eine Wahl zu haben, und zwar obwohl ich wusste, dass es erfolgversprechender wäre, meine Liebe zu portionieren und erstmal nur als Appetizer auf den Markt zu werfen. Ich bin genau wie viele Frauen daran gescheitert, Autonomie und Anerkennung in Beziehungen miteinander zu vereinbaren. Dass ich als Mann mehr Macht als Frauen habe, zu definieren, was wertvoll ist, nützt mir aber nichts, weil für mich diese Macht auszuüben auch heißt, aus meiner Liebe ein Machtspiel zu machen. Was ich nicht möchte.

 

Sicher ist es die Krux einer soziologischen Analyse, die gesellschaftliche Entwicklungsprozesse beschreibt und erklärt, nicht jedes soziale Phänomen behandeln zu können. Auch so habe ich aus Illouz Buch viel über die soziale Prägung meiner Gefühle gelernt, und wenn ich dazu oft Sätze, die anfangen „Viele Frauen…“ innerlich ergänzen musste mit „…und viele Männer….“, so ist das ein wesentlich geringeres Übel, als sozialen Prozessen einfach blind ausgeliefert zu sein, die mich unglücklich gemacht haben, wie es vor der Lektüre war.

 

Aber trotzdem fehlt mir in Illouz Buch eine Reflexion darüber, welchen Widersprüchen gerade die Männer ausgeliefert sind, die eigentlich aus feministischer Sicht die Partner abgeben können, mit denen gemeinsam Frauen der Herrschaft des Kapitalismus über die Gefühle ein Ende bereiten können.

 

Von Männern wird oft erwartet, dass sie mit einer ganzen Ladung alter und neuer Rollenfragmente jonglieren: Mal sollen Männer Kavaliere sein, mal aufregende Sexabenteurer, mal fürsorgliche und verständnisvolle Softies, dann wieder knallhart selbstbewusste Machtstrategen, auf deren Entscheidungskraft Verlass ist, dann wieder naive kleine Jungen, die sich für Neues begeistern können, dann sollen sie feministisch reflektiert an die Beziehung herangehen und im nächsten Moment den dominanten Lover geben. Ja, was denn nun? Wenn manche Männer es schaffen, mit diesen ganzen Verhaltensweisen erfolgreich zu jonglieren, bekommen sie kurz Applaus. Geht es schief, und die Rollenfragmente verwandeln sich in einen unzusammenhängenden Kladderadatsch, werden die Männer entweder bestraft, ausgelacht, bemitleidet, wohlmeinend von oben herab behandelt oder schlicht ignoriert.

 

Aus der Sicht vieler Männer ist die Situation also auch ziemlich übel: Frauen verlangen von ihnen, zugleich die Autonomie der Frauen zu respektieren, ihre männliche Autonomie unter Beweis zu stellen, inklusive ihrer Macht auf dem sexuellen Markt, und trotzdem verlässliche, fürsorgliche und nette Partner zu sein.

 

Es wäre gut, die Herrschaft des Kapitalismus über die Gefühle als etwas zu verstehen, was Männer und Frauen ständig neu erzeugen, und sich endlich gemeinsam zu weigern, dieses Spiel mitzuspielen. Dazu sollten Feministinnen deutlicher als Illouz die Bemühungen vieler Männer anerkennen, die Art, wie sie lieben, von der Macht des Kapitalismus und des Patriarchats freizuhalten.

 

1Illouz, Eva: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012. S. 259.

Utopia: Es gibt kein Rezept

Ich habe über die These nachgedacht, dass wir uns in der Postmoderne in einer Zeit befinden, in der die großen Erzählungen vom Sinn der Geschichte nicht mehr glaubhaft sind. Die Aufklärung, der Liberalismus, der Kommunismus, auch die Religionen können nach dieser These keine stimmige Geschichte mehr erzählen, in der die Menschheit auf ein gutes Leben in der Zukunft zusteuert. Was bleibt, so heißt es, sind Bruchstücke von Sinn, aber keine zusammenhängende Orientierung, die uns sagt, wozu wir leben, woher wir kommen und wohin wir gehen.

Nun habe ich weiter überlegt, ob ich mir eigentlich noch so etwas wie ein sinnvolles Ende der Geschichte der Menschheit in der Zukunft vorstellen kann. Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Ja, ich glaube daran, dass die Menschen es schaffen können, in einer fernen Zukunft friedlich, frei und ohne ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören zusammen leben können. Ich stelle mir das Ganze ein bisschen so wie einen Garten Eden mit Internet vor.

Ich glaube aber auch nicht mehr an meine früheren persönlichen großen Erzählungen, nämlich Christentum, Kommunismus, Anarchismus, Buddhismus, Liberalismus und Aufklärung, an die ich in genau dieser Reihenfolge in meinem Leben geglaubt habe. Die bitterste Enttäuschung ist mir immer noch der Liberalismus, vielleicht, weil ich den offensichtlichen Widerspruch zwischen Menschenrechten, Freiheit und Toleranz, die die Liberalen bei jeder Gelegenheit beschwören, und der realen Bilanz liberaler Politik in einer Welt der kapitalistischen Verschärfung von Elend, Flucht, Diktatur, Krieg, Ungerechtigkeit und Chaos besonders empörend finde.

Ich glaube trotzdem, dass wir es schaffen können, aus dieser desaströsen Lage herauszukommen. Aber es gibt keine Karte, die uns nach Utopia führt. Es gibt kein Rezept. Die Kommunisten haben es mit staatlicher Planung der Wirtschaft und Rätedemokratie versucht, aber sie haben nicht einkalkuliert, wie viele Zwänge sie damit errichten, und die Leute haben die Kommunisten in den meisten Ländern der Welt inzwischen nach Hause geschickt.

Die Aufklärer haben es mit Wissen und Erkenntnis und der Kraft öffentlicher Diskussion mit vernünftigen Gründen versucht, aber sie haben die emotionalen und dunklen Seiten der menschlichen Seele unterschätzt, ebenso wie sie die menschliche Geduld, Frustrationstoleranz und Aufmerksamkeitsspanne, die für endlose rationalistische Prozeduren gebraucht werden, überschätzt haben.

In einem haben die Postmodernen also recht – es gibt keine Wegweiser ins goldene Zeitalter. Alles, was wir haben, sind Bruchstücke von Sinn, kleine Geschichten, die sich zu keinem großen Ganzen fügen wollen. Aber genau das ist ja der Clou an einem echten Utopia – dass es kein großes Ganzes sein darf, damit alle Menchen ihr Leben darin leben können. So gesehen ist die Postmoderne ein Puzzleteil, dass wir auf dem Weg zum guten Ende der menschlichen Geschichte dringend gebraucht haben. Aber die Geschichte geht noch weiter, und wir wissen nicht, wohin – ich persönlich möchte ja wie gesagt eine Art Garten mit Internet.

Good Old Bullshit

Tobias Kniebe meint, wir würden ohne das „good old Urheberrecht“ den superreichen Künstler vermissen. Ohne „fuck-you-money“ für geniale Ideen wie Harry Potter und Star Wars, deren Urheber sich niemandem unterordnen müssen, verkäme alle Kultur zu einer lauen und dienstbeflissenen Langeweileshow. („Zählt ihr nur eure Erbsen“, SZ vom 15./16.9.2012)

Wie es sich für einen gehobenen Bildungsbürger gehört, versieht Kniebe seinen Artikel mit einer Ouvertüre, in der er sanft Adornos „Verblendungszusammenhang“ streift und sehr harmonisch passend dazu die Kapitalismuskritikharfe kurz anzupft. Das dient aber nur dazu, bei dem ebenfalls bildungsbürgerlich sozialisierten Leser die passende Stimmung für die Lektüre einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik herzustellen.

Die besteht vor allem darin, die Forderungen der Commons-Bewegung, kulturelle Inhalte im Netz frei verfügbar zu machen, als Anschlag auf Freiheit und Genie in der Kunst zu diskreditieren.

Ich finde es ja löblich, dass Kniebe die ohne ordentliche Arbeit superreich gewordenen Künstler als Symbole für die Möglichkeit, ohne Duckmäuserei und Plackerei seinen Weg zu machen, im Sinne der gesellschaftlichen Förderung von Freiheit vor den bösen Communarden der neuen Medien retten will. Was ich mich frage, ist aber: Ab welchem monatlichen Einkommen habe ich eigentlich die „fuck-you-money“-Grenze erreicht und bin endlich frei? Reichen 1000 Euro für meinen persönlichen kleinen Haushalt, Essen, Miete und gelegentlich die neue Scheibe von eels, nicht aus, um dem Chef im Büro den Finger zu zeigen? Wieso brauche ich dazu die Milliarde? Und wäre die Milliarde nicht im Sinne der gesellschaftlichen Förderung von Freiheit und Genialität besser angelegt, wenn sie gleichmäßig auf viele kleine monatliche 1000-Euro-fuck-you-Förderungen verteilt würde? Mehr noch, wieso brauche ich für meine eigene kleine Fuck-you-Einstellung eigentlich J.K. Rowling als Symbol für den Erfolg kreativer Ideen?

Ein Freund von mir ist Lastwagenfahrer. Als wir auf einer Party im Spaß anfingen, unsere persönliche Denkerpose vorzuführen, sagte er: „Meine Denkerpose sieht so aus.“ Dabei er fuhr sich bedächtig mit dem ausgestreckten Mittelfinger über die Augenbraue. Ich glaube, in Sachen „fuck-you-Einstellung“ könnte Tobias Kniebe von meinem Freund einiges lernen, genauso wie von all den anderen Menschen auf der Welt, die ohne die Milliardengrenze geknackt zu haben täglich ihre „fuck-you-Einstellung“ gegenüber Chefs und dem ganzen autoritären Gesocks, das versucht, unser Leben zu kontrollieren, aufrechterhalten, und zwar ohne, dass sie dabei mit glasigem Blick auf Symbole wie George Lucas starren. Solche Symbole von Freiheit werden im Kapitalismus vor allem dazu geschaffen, echte, reale Freiheit zu ersetzen durch die bloße Hoffnung auf mögliche zukünftige Freiheit.

Das „Good Old Urheberrecht“ will ich aber trotzdem nicht abschaffen. Von mir aus sollen J.K. Rowling, George Lucas und Phil Collins vor sich hinsymbolisieren, soviel sie wollen. Ich will bloß nicht in einer Zeitung, die ich monatlich bezahle, Pseudoargumente über symbolische Freiheit im Kapitalismus lesen müssen, die jetzt dazu geführt haben, dass ich eine Stunde lang statt an meinem Roman zu schreiben diesen Blogartikel schreiben musste.

Camper aller europäischen Länder, vereinigt euch!

Thomas Steinfeld vermisst das „politische Subjekt“ einer gemeinschaftlichen europäischen Haftung für Schulden. (Thomas Steinfelds Kritik an Habermas, Bofinger und Nida-Rümelin : „Gemeinschaft der Konkurrenz.“ SZ Nr. 181 vom 7.8.2012) Die Nationen in Europa konkurrierten wirtschaftlich miteinander, täten dies aber in einem gemeinsamen Währungsraum, so die brilliante Analyse des SZ-Feuilletonisten. Mon Dieu, es gibt in Europa tatsächlich Interessengegensätze! Wie um alles in der Welt soll man da zu gemeinsamen Entscheidungen kommen? Welche Nieten halten den europäischen Kahn noch zusammen, wenn es schon kein „politisches Subjekt“ gibt, das ihn steuert? Der Untergang des Abendlandes steht kurz bevor, wir raten allen Zahnärzten, ihr mühsam in Immobilienfonds, die in Spanien überflüssigen Wohnraum finanzieren, angelegtes Geld flüssig zu machen und es stattdessen in Immobilienfonds anzulegen, die auf den Bahamas überflüssigen Wohnraum finanzieren.

Ja, das dürfte die schlimmste Krise erstmal abmildern, bleibt eine Frage: Wo ist das „politische Subjekt“ Europas? Und viel entscheidender: Was ist es? Ein Satzglied im Nominativ, mit dem sich Sätze wie „Das europäische Subjekt will die europaweite Besteuerung von Millionenvermögen zugunsten strukturschwacher Regionen!“ bilden lassen? Ein Satzglied, das im Gegensatz zu „europäischen Objekten“ steht, die zum Beispiel im Dativ oder im Akkusativ stehen und in Sätzen wie dem folgenden vorkommen: „Die Troika zwingt europäischen Krisenländern den Ausverkauf ihres Staatseigentums auf.“? Oder ist vielleicht gar nichts Grammatisches gemeint? Meint Steinfeld mit „Subjekt“ etwa eine philosophische Kategorie? Das Subjekt also als dasjenige, das selbstbestimmt handelt, einen autonomen Willen besitzt und sich denkend selbst erkennt? Machen wir die Probe aufs Exempel: Nach Steinfeld müsste ja ein souveräner Staat wie Deutschland ein „politisches Subjekt“ haben, das im Falle Europas so schmerzlich vermisst wird. Der Zufall will es, dass ich deutscher Staatsbürger bin und sozusagen aus dem inneren Körper des deutschen „politischen Subjekts“ berichten kann, weil ich ja offensichtlich Teil davon bin. Ich wähle, gehe regelmäßig zu Demonstrationen und schreibe Blogartikel. Jetzt ist es so, dass die Regierung meines Landes, obwohl ich sie nicht gewählt habe, ständig das genaue Gegenteil von dem macht, für was ich demonstriere: Ich bin für die stärkere Besteuerung von großen Vermögen. Ich bin für eine Solarförderung, die diesen Namen auch verdient. Ich bin für ein solidarisches Gesundheitswesen. Wenn mein autonomer Wille Teil des autonomen Willens des „politischen Subjekts“ der Bundesrepublik Deutschlands ist, dann muss da irgendwo der Wurm drin sein in diesem „Subjekt“, weil dauernd die anderen Leute ihren Willen gegen meinen durchsetzen, und mein Wille gar nicht berücksichtigt wird, habe ich das Gefühl. Und den meisten meiner Freunde geht es genauso. Anstatt aber aus dem politischen Subjekt auszusteigen, einige Uzis zu kaufen und auf Manager der Deutschen Bank und FDP-Politiker zu schießen, gehen wir weiter auf Demonstrationen und wählen und schreiben Blogartikel, wie man liest. Wir tun das, weil wir friedliebende Menschen sind, vom Grundgesetz der BRD überzeugt sind und glauben, dass wir mit den politischen Institutionen dieses Staates besser fahren, als wir mit den Institutionen der meisten anderen Staaten dieser Welt fahren würden.

Wenn uns das zu Teilen des „politischen Subjekts“ der BRD macht, sehe ich keinen Grund, warum es uns nicht auch zu Teilen des „politischen Subjekts“ Europas machen sollte: Im politischen Feld gibt es Interessengegensätze, egal ob auf nationaler oder europäischer Ebene, und man zieht regelmäßig den Kürzeren. Man kann sagen, dass Politik nichts anderes ist als der einigermaßen geregelte Umgang von Leuten, die Unterschiedliches wollen, sich aber auf für alle geltende Entscheidungen einigen müssen.

Früher haben Deutsche das, was Steinfeld nebulös „politisches Subjekt“ nennt, das „Volk“ genannt. Der Grundgedanke demokratischer Nationalstaatlichkeit konnte so ausgedrückt werden: „Das Volk entscheidet.“ Im Zeitalter des Pluralismus reden Politiker mit gutem Grund aber nicht mehr vom „Volk“, sondern sie reden von den „Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland“ oder einfach den „Menschen im Lande“, weil sie genau wissen, dass es kein einheitliches „Volk“ gibt, und nie gegeben hat. Neulich war ich auf der Blockupy Demonstration in Frankfurt. Dort traf ich zwei französische Aktivist_innen, die mich baten, mich um ihr von der deutschen Polizei konfisziertes Zelt zu kümmern. Während wir redeten, kamen deutsche Yuppies in Polohemden vorbei und befleißigten sich des Zurufs: „Hier ist kein Campingplatz!“ Sie können mir glauben: Mit den deutschen Teilnehmern dieser Szene verband mich nichts außer eine gemeinsame Muttersprache und die Tatsache, dass wir alle auf zwei Beinen gehen. Mit den französischen Aktivist_innen verbanden mich eine gemeinsame Kultur, politische Überzeugungen, Solidarität und Sympathie. Das sind doch ideale Bedingungen für ein politisches Subjekt eines europäischen Bundesstaates. Die deutschen Yuppies dürfen auch mitmachen, obwohl sie Polohemden tragen und es ihnen an Solidarität noch etwas mangelt. Die wird ihnen dann eben vorläufig durch eine europäische Steuergesetzgebung verordnet.

Der kleinste gemeinsame Feind

Ach, was waren das noch für schöne Zeiten, als die Welt sich im Titanenkampf zwischen Kommunismus und Demokratie befand. Irgendwie war alles so klar und eindeutig.

Heute lese ich in der Süddeutschen, wie Erwin Strittmatter sich in der DDR angepasst und doch nicht angepasst hat. Gelitten habe er unter dem „Kleinbürgerdiktator“ Ulbricht und seine Funktionärsrolle im Schriftstellerverband nur widerwillig gespielt.

Ein ähnliches Leiden und doch Mitarbeiten wird über Brigitte Reimann berichtet in dem von Ina Merkel herausgegebenen Band „Das Kollektiv bin ich“. Reimann, auch sie Schriftsteller_in, identifizierte sich mit der sozialistischen Idee und lag trotzdem mit der Realität der DDR ständig im Clinch.

Bertolt Brecht, der seine letzten Lebensjahre in der DDR fristete und sich schonmal beschwerte, weil seine staatlich zugeteilte Bierration für die kreative Schöpfungstätigkeit zu klein sei, hat zu den Volksaufständen am 17. Juni 1953 in der DDR geschrieben: „Wäre es unter diesen Umständen nicht besser, die Partei löste das Volk auf und wählte ein neues?“ Volker Braun, auch er Kommunist, nannte einen Gedichtband „Training des aufrechten Ganges“. Auch ihm fiel derselbe in der DDR nicht leicht.

In meiner persönlichen Zeitgeschichte versammeln sich Schreiber_innen, die sich ständig im Spagat zwischen ihrem kommunistischen und kritischen Idealismus und dem gängelnden Alltag der DDR-Bürokratie befanden.

Soweit, so klar. Es ist nur auch interessant, wie jetzt in der Geschichtsschreibung der liberalen Presse über die Schriftsteller berichtet wird, die, obwohl Kommunisten, sich mit der DDR nicht vollends identifizieren konnten und wollten, obwohl oder gerade weil sie dort lebten. Ich will die Einstellung, die die liberalen Schreiber gegenüber Kommunisten wie Brecht einnehmen, einmal als geprägt vom „Das- Leben-der-anderen-Schema“ beschreiben.

Die werte Leser_in erinnere sich an den gleichnamigen Film, in dem gezeigt wird, wie ein Schriftsteller von der Stasi zugrundegerichtet wird. Das Schema des Filmes ist einfach: Der kritische Freidenker wehrt sich mit seinen literarischen Waffen gegen die Unterdrückung durch den DDR-Staatsapparat und gerät unter dessen Stasi-Räder. Freiheit gegen Zwang, Zwang gewinnt, zum Glück gewinnt am späten Ende, im Jahr 1989, wie der Zuschauer weiß, dann doch noch das Gute. Wir gehen kathartisch gereinigt aus dem Kino und wissen: Es war gut, dass die DDR abgeschafft wurde.

Für dieses Schema sind Menschen wie Strittmatter, Braun, Brecht und Reimann ein Problem. Sie haben die DDR gestützt, obwohl sie unter der Repression gelitten haben, die durch dieses System ausgeübt wurde. Sie haben die DDR nicht verlassen, obwohl sie einen ständigen Seiltanz zwischen Kritik und Anpassung vollziehen mussten.

Diese Lebensläufe und ihre Dokumente legen der Leser_in nahe: In der DDR kann nicht restlos alles schlecht gewesen sein. Da diese Erkenntnis aber nicht ins „Das-Leben-der-anderen-Schema“ passt, muss uminterpretiert werden. Nicht die Strahlkraft der kommunistischen Idee war gut, sondern des Kommunisten Brechts gute Seiten waren zu schwach, um sich gegen den sozialistischen Staat zu entscheiden.

Brigitte Reimann hat lange in der sozialistischen Musterstadt Hoyerswerda gelebt und gelitten, weil die sozialistischen Planer keine Freiräume für kulturelles Leben in ihrer Reißbrettstadt eingeplant hatten. 1991, kurz nach der Wende, wurde Hoyerswerda zum Symbol für sinnlose Gewalt gegen Ausländer_innen. Ostdeutsche Neonazis warfen Molotow-Cocktails auf ein Heim für Vertragsarbeiter_innen aus Vietnam. Damals konnte die deutsche Polizei diese Verbrechen nicht verhindern. Vor Kurzem wurde bekannt, dass Ermittler im Zuge der NSU-Mordserie-Ermittlungen ein Medium aufsuchten, um Kontakt zu einem der Ermordeten aufzunehmen. Während in Dresden die Polizei illegalerweise systematisch alle Telefondaten der Teilnehmer_innen einer Anti-Nazi-Demonstration erfasst, halten Polizisten bei der Suche nach Mörder_innen an Ausländer_innen Seancen ab.

Der siegreiche Kapitalismus hat, das zeigen Hoyerswerda und die NSU-Morde, seine Schattenseiten. In Spanien sind 50 % aller Jugendlichen ohne Job, die Hypothekenblase in den USA ist auf Kosten der Mittel- und Unterschicht geplatzt. Die Einkommensunterschiede zwischen arm und reich nehmen selbst im boomenden Deutschland stetig zu. Die Finanzkrise zeigt, dass weder Politik- noch Wirtschaftseliten der westlichen Länder langfristig tragfähige Lösungen für die Krisen des Kapitalismus parat haben.

Der Kapitalismus beherrscht die westliche Welt, und dennoch geht es unserer Welt nicht gut. Antonio Gramsci, der italienische Kommunist, definierte Herrschaft als „Hegemonie, gepanzert mit Zwang“. Hegemonie des Kapitalismus bedeutet: In der Süddeutschen werden Geschichten über Schriftsteller erzählt, denen es in der DDR schlecht ging. Zwang bedeutet: In Frankfurt werden bei den Blockupy-Protesten gegen die Troika aus Europäischer Kommission, IWF und EZB, die Südeuropa in die Depression stürzt, mehrere tausend Polizist_innen in Stellung gebracht gegen tausend friedliche Demonstrant_innen. Sicher: Die Situation war kritisch. Als 20 Demonstrant_innen in weißen Gewändern und langen schwarzen Perücken vor dem Frankfurter Römer ein satirisches Lied auf die Finanzkrise sangen, dachte ich auch für einen Moment, dass sie gleich die Regierung stürzen und die Demokratie abschaffen. Ich war regelrecht erleichtert, als endlich 50 Polizist_innen mit Helmen, Schilden und Schlagstöcken aufmarschierten, um ein kritisches Transparent vom Römer wieder abzureißen und so die Demokratie im letzten Moment zu retten.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Polizist_innen in Frankfurt vorher zu Schulungszwecken gezwungen wurden, „Das Leben der anderen“ zu schauen. Leute wie ich wollten, so wurde ihnen wahrscheinlich suggeriert, dem Kommunismus doch noch zum Sieg verhelfen. Jetzt ist es so, dass ich die Geschichten über Brecht, Braun, Reimann und Strittmatter doch so abschreckend finde, dass ich mir die Stasi nicht zurückwünsche. Trotzdem möchte ich öffentlich zeigen, dass ich den Kapitalismus, weil er Profite systematisch über Menschen stellt, für eine strukturell undemokratische Wirtschaftsordnung halte.

Damit werde ich zum Problem: Ich passe irgendwie nicht ins „Das-Leben-der-anderen-Schema“. Ich bin weder Stasi-Kommunist noch verfolgter Freidenker. Ich kann diesen Blog schreiben und vor dem Römer Straßenmusik während einer Demonstration gegen den Kapitalismus machen und muss mich nicht vor dem Verfassungsschutz rechtfertigen oder meinen Computer in einem Geheimfach im Fußboden verstecken.

Ich denke, die Stasi und die Kommunismus-Variante der DDR sind der kleinste gemeinsame Feind, auf den sich die miteinander im Clinch liegenden Eliten der Republik einigen können und auf den sie rituell einschlagen, um sich zu erklären, dass sie trotz Neonazis, Massenarbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen, politischer und wirtschaftlicher Grabenkämpfe, Unterdrückung linker Demonstrant_innen und Schuldenkrise zurecht an der Macht sind.

Ich habe eine Nachricht für die Eliten: Der Kapitalismus hat gewonnen. Sie können aufhören, auf den Kommunismus einzuschlagen. Dann bekommen sie vielleicht das Blickfeld frei, um zu prüfen, ob im Kapitalismus Menschen in Würde, das heißt frei, gleich und solidarisch, zusammenleben können. Meine Erlebnisse in Frankfurt haben da gewisse Zweifel gesät.

 

Über welche Waffendeals reden wir eigentlich und warum?

 

Günther Grass hat ein Gedicht geschrieben, in dem er sich unter anderem gegen die Lieferung eines deutschen Unterseebootes an Israel ausspricht. Ich finde grundsätzlich nichts schlecht daran, den Export eines atomwaffenfähigen Unterseebootes in eine Krisenregion zu kritisieren. Allerdings möchte ich einwenden, dass Israel in einer Lage ist, die mit der Lage anderer Staaten in Krisenregionen nicht vergleichbar ist: Das Territorium Israels ist umgeben von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, die seine Vernichtung als Staat Israel anstreben. Zudem sind innerhalb des Territoriums zwei wesentliche Gruppen bestrebt, den demokratischen Staat Israel in seiner bisherigen Form abzuschaffen: Die Hamas und andere Teile der islamistischen Opposition einerseits und rechte und ultraorthodoxe Israelis andererseits, die sich in den Siedlungen im Westjordanland kleine Staaten der Rechtgläubigkeit schaffen.
Die israelische Regierung befindet sich also in einer doppelten Zwangslage: Sie muss gegen ihre Feinde wie den Staat Iran nach außen und nach innen gegen ihre extremistische Opposition gleichermaßen Stärke demonstrieren, ohne zugleich sich selbst als Kriegs- und Gewaltherrschaft zu diskreditieren. Ein Staat, der unter diesen Umständen demokratische Entscheidungsstrukturen und die Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung aufrechterhält, ist aber keinesfalls mit der DDR oder Birma zu vergleichen, wie es Grass tut.
Die größte Gefahr, die ich sehe, ist, dass der Arabische Frühling durch eine Eskalation des Iran-Israel-Konflikts seine befreiende und demokratisierende Wirkung verliert. So gesehen ist Ahmadinejads Atomwaffendrohpolitik ein geschicktes Kalkül: Sie lenkt die Menschen von der eigentlich wichtigen politischen Frage ab, die lautet: Wie schaffen es die Völker der Region, ihre Gemeinwesen zu demokratisieren? Insbesondere Irans einziger Verbündeter in der Region, Syrien, ist in Gefahr, zu einem Beispiel für das Scheitern eines Demokratisierungsprozesses zu werden. Die eigentlich notwendige Debatte in Deutschland wäre also: Was tut die Regierung der BRD für den Demokratisierungsprozess in Syrien und gegen das Assadregime? Dass Grass als politischer Intellektueller die Öffentlichkeit von dieser Frage ab- und auf die Frage zulenkt, wie sich die deutsche Regierung zu Israel verhält, ist ein Fall von Übersichtslosigkeit, schlimmer noch aber sind die Intellektuellen Kreise in der deutschen Medienlandschaft, die sich diese Ablenkung zueigen machen, indem sie auf Grass öffentlichkeitswirksam verbal einprügeln. Sie alle verhalten sich wie ein Prüfling, der versucht, sich mit der Maus-Elefantentechnik aus der Affäre zu ziehen, die mir ein Freund vor einer Uniprüfung einmal verraten hat. Diese Technik funktioniert so: Auf die Frage des Prüfers, was man über den Elefanten wisse, antworte man: “ Ja, ein hochinteressantes Tier, dieser Elefant, sehr groß, ganz im Gegenteil zu einer Maus, die sehr klein ist, zur Familie der Nagetiere gehört, und …“ Hier beginnt man dann einen Vortrag über die Spezies der Mäuse, der die gesamte Prüfungszeit lang andauert.
Insofern ist eine fast richtig gestellte Frage, nämlich: „Warum beliefert eine deutsche Firma Israel mit Waffen?“ Tatsächlich verheerender für den politischen Diskurs, als eine vollkommen richtig gestellte Frage, nämlich: „Was tut Deutschland eigentlich für Frieden und Demokratie und Freiheit in der Region des Nahen Ostens?“
Die letzte Heldentat der Bundesregierung ist die scheinbar erteilte Genehmigung des Verkaufs von 200 deutschen Panzern an ein undemokratisches Regime, das von Saudi-Arabien. (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,802257,00.html) Das ist genau das falsche Signal eines Landes, das erst vor 67 Jahren durch die Alliierten von der selbstverschuldeten Gewaltherrschaft befreit wurde und sich seit einiger Zeit als Botschafter von Freiheit und Demokratie versucht.

Allgemeinunwohl: Regierung will Solarförderung kürzen

Heute entscheidet der Bundestag über die von der CDU-FDP-Regierung geplante Kürzung der Solarenergieförderung um 30%.

Unsere Regierung hat keinen Weitblick: Während in Kanada bereits begonnen wird, ökologisch und ökonomisch katastrophale Ölsande zu fördern, weil Erdöl knapp wird und die BRD Erdgas aus Asien importieren muss, will die CDU-FDP-Regierung mit der Solarenergieförderung des EEG eine der wenigen wirklich nachhaltigen Subventionen kürzen.

Nicht nur werden hier errungene wirtschaftliche Erfolge wie der Aufbau der Solarindustrie in Bitterfeld (Hagelüken/Balser in SZ vom 29.3.2012, s. 3) zerstört, Die BRD macht sich ohne einen guten Anteil lokal erzeugter Energie auch von Staaten und Regionen abhängig, die nicht demokratisch und nicht sicher vor Kriegen und Bürgerkriegen sind.

Ich frage mich, welches langfristige Kalkül hinter der Politik der Bundesregierung steckt: Gaskraftwerke sind sicher eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Ergänzung zum bundesdeutschen Energiemix. Jedenfalls, wenn in Zentralasien keine politische Katastrophe entsteht, und für die nächsten 40 Jahre. Danach wird diese Ressource erschöpft sein. Gut, 40 Jahre sind für eine Regierung, deren weitester Zukunftshorizont die nächste Bundestagswahl ist und die sich deshalb auch schonmal innerhalb von drei Monaten von einer Befürworterin der Atomkraft zu ihrer Totengräberin wandelt, wirklich kein relevanter Zeitraum.

Wir können uns gerne darüber streiten, ob Solarzellen wirklich in Deutschland hergestellt werden müssen, oder ob es nicht egal ist, wenn sie stattdessen aus China importiert werden. Die Arbeitsplätze in Bitterfeld werden dann eben durch welche in der Region Shanghai ersetzt, weil die chinesische Regierung im Gegensatz zur bundesdeutschen keine Manschetten hat, ihre Wirtschaft staatlich zu fördern. Fahren wir eben die ökologisch sinnvollen Solarzellen in mit Schweröl betriebenen Containerschiffen um die halbe Weltkugel.

Was mich aber wirklich ärgert, ist, dass das Mantra vom schlanken Staat das allem zugrundeliegende Non-Plus-Ultra-Argument der CDU-FDP-Regierung ist, um mit Wittgenstein zu sprechen, der Punkt, an dem sich der Spaten der Begründung von Begründungen schließlich in der Hand der Kanzlerin umbiegt. Unter diesem Argument sind aber noch tausend andere, wichtigere, an die die Regierung mit ihrem neoliberalen Klappspaten nicht herankommt. Das unterste ist das Allgemeinwohl, und zwar das internationale.

Die Energiewende ist für dieses Allgemeinwohl eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre. Unsere Bundesregierung ist ihr nicht gewachsen.